Uranfabrik Gronau stilllegen – zwei Rechtsgutachten von 2011 und ein kostspieliger Ausstieg?

Radioaktiv-07.jpgFür die Atomkraftwerke hat der Bundestag nach der Katastrophe von Fukushima im Juli 2011 die Abschaltung von acht Anlagen und eine Betriebsbefristung der verbleibenden neun Reaktoren beschlossen. Nicht befristet wurde der Betrieb von so genannten Brennstoffversorgungsanlagen. Daher dürfen die Urananreicherungsanlage der URENCO in Gronau ebenso wie die AREVA-Brennelementefabrik im benachbarten Lingen völlig unbefristet weiter Uranbrennstoff für AKWs in aller Welt herstellen.

Mit Blick auf die Uranfabrik in Gronau hatten im Sommer 2011 der Grüne Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer und der Grüne NRW-Landtagsabgeordnete Hans-Christian Markert Studien vorgelegt, die die Frage untersuchten, wie denn eine Stilllegung der Uranfabrik möglich wäre. Die Studie steht hier als PDF zum download bereit.

Zu den Reaktionen auf diese Studien berichtete umweltFAIRaendern.de hier. Dort wurde auch berichtet, dass die neue Landesregierung von NRW angekündigt hat, mit einem weiteren Rechtsgutachten Möglichkeiten für eine Stilllegung der Uranfabrik in Gronau untersuchen zu wollen. Ergebnisse liegen bis heute immer noch nicht vor.

Gronau stilllegen – Studie 1

Krischer hatte den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beauftragt, diese Frage zu untersuchen. In der Zusammenfassung kam der Dienst am 27. Juli 2011 zu dem Ergebnis: „Beide (Anlagen, Gronau und Lingen) verfügen über unbefristete Betriebsgenehmigungen, die nur unter strengen Voraussetzungen des Atomgesetzes aufgehoben werden könnten. Denkbar wäre jedoch, ähnlich wie bei Kernkraftwerken, die Betriebsdauer dieser Anlagen durch Gesetz zu begrenzen. Ein entsprechendes Gesetz müsste sich an der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG messen lassen. Es dürfte sich dabei nicht um eine Enteignung sondern um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung handeln, die verhältnismäßig auszugestalten wäre.“ (Seite 4, WD 3 – 3000 – 254111, die Stellungnahme unterliegt einem Veröffentlichungsvorbehalt des Bundestages und steht daher hier nicht zum download. Auf Anfrage kann diese aber sicherlich beim Abgeordneten Krischer oder direkt über mich per Mail angefordert werden – siehe Kontakt.)

Eine weitere Möglichkeit, nämlich den Widerruf der bestehenden Dauerbetriebsgenehmigung, erfordert eine „konkrete Prüfung“: „Des Weiteren ist ein Widerruf möglich, wenn eine der Genehmigungsvoraussetzungen später weggefallen ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wurde,§ 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG.
Dabei ist zu beachten, dass hinsichtlich des Wegfalls der Genehmigungsvoraussetzungen eine allgemeine Neubewertung der Gefahren von kerntechnischen Anlagen als Begründung für einen Widerruf nicht ausreichen dürfte. Vielmehr ist eine konkrete Prüfung der jeweiligen Anlage erforderlich. Sofern nach Einschätzung der Aufsichtsbehörde aufgrund der Gefahrenlage keine Genehmigung hätte erteilt werden dürfen, ist zu prüfen, ob durch nachträgliche Auflagen Abhilfe geschaffen werden könnte. Dies wäre gegenüber dem  Widerruf der Genehmigung das mildere Mittel. Auch hierfür ist eine sorgfältige und umfassende Prüfung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls durchzuführen.“ (S. 7)

Weitere Gründe für eine Stilllegung der Anlage könnten sein: „erhebliche oder wiederholte Verstöße gegen das AtG, atomrechtliche Rechtsverordnungen, Anordnungen, Verfügungen der Aufsichtsbehörden, Bestimmungen des Genehmigungsbescheids oder nachträgliche Auflagen. Erforderlich ist außerdem, dass in angemessener Zeit keine Abhilfe geschaffen wird.“ (§ 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG) Ebenso wäre ein Grund nach § 17 Abs. 5 AtG für die Aufsichtsbehörde zum Widerruf gegeben, „wenn dies wegen einer erheblichen Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit erforderlich ist und nicht durch nachträgliche Auflagen in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann.“

Dabei – so betont der Wissenschaftsdienst – wäre selbst in diesen Fällen die Eigentumsgarantie nach dem Grundgesetz strikt zu beachten. Grundsätzlich gibt es auch die Möglichkeit, in dieses Eigentumsrecht einzugreifen. „Eingriffe in das Eigentumsrecht können in Form von Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG oder als Enteignung, d.h. vollständiger Entziehung von Eigentumspositionen nach Art. 14 Abs. 3 GG erfolgen. Letztere sind nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG nur auf Grund eines  Gesetzes zulässig, das auch Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Demgegenüber sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen nur im Ausnahmefall ausgleichspflichtig. Ferner  gilt, dass eine rechtswidrige Inhalts- und Schrankenbestimmung nicht in eine  entschädigungspflichtige Enteignung umgedeutet werden kann.
Die Frage, ob es sich bei einer Begrenzung der Nutzungsdauer einer Anlage mit unbefristeter atomrechtlicher Genehmigung um eine Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung handelt, wurde intensiv im Vorfeld des Atomausstiegs unter der rot-grünen Bundesregierung diskutiert. Diese Frage wurde jedoch gerichtlich nicht geklärt, da es sich um die gesetzliche Umsetzung des Atomkonsenses handelte. In der Literatur  war diese Frage allerdings umstritten. Ähnlich könnte bei einer Regelung zur Begrenzung der Laufzeit einer Urananreicherungsanlage argumentiert werden.“ (Seite 8f) Im folgenden diskutiert die Stellungnahme rechtliche Probleme bei der Enteignung und den Inhalts- und Schrankenbestimmungen.

Gronau stilllegen – Studie 2 (download als PDF)

Ebenfalls im Juli 2011 veröffentlich Hans Christian Markert, Landtagsabgeordneter in NRW ein Rechtsgutachten zur Frage „Rechtliche Möglichkeiten einer Beendigung der Urananreicherung in der UAA Gronau“.

Dabei interssiert Markert, der selbst Jurist ist, die Frage, wie denn die „Stilllegung der Urananreicherungsanlage Gronau über das Land NRW durch Aufhebung der Betriebsgenehmigungen“ möglich sein kann und kommt nach Betrachtung mehrerer atomrechtlicher Vorschriften und Regelungen zu der Aussage: „Eine Genehmigung des Landes NRW, die auf die Stilllegung der UAA Gronau gerichtet ist, ist rechtlich nicht nur möglich, sondern notwendig.“ (Seite 12) Allerdings mit einem erheblichen Schönheitsfehler, denn Markert räumt ein: „Die Betreiberfirma Urenco aber kann sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen und Entschädigungszahlung fordern.“ Strittig ist dann jedoch nicht nur die Frage, wie hoch diese Entschädigung ausfallen könnte. Strittig wäre auch die Frage, ob der Bund oder das Land NRW die Kosten tragen müsste. Für Markert ist klar: „Die Entschädigungskosten sind demnach nicht gemäß Art. 104 a I GG vom Land,
sondern nach Art. 104 a II GG als zweckgebundene Kosten vom Bund zu tragen.“ (Seite 13)

Als zweite Variante betrachtet Markert die „Stilllegung der UAA Gronau über den Bund durch Änderung des  AtG“. Auch hier kommt er nach einer umfangreicheren Prüfung zu dem Ergebnis: Geht, aber kostet! Denn: „Der Bund hat die Möglichkeit des AtG zu ändern. Dadurch liegt kein Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht vor. Allerdings wird der Bund eine Entschädigung an Urenco zahlen müssen, damit er nicht gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes verstößt. Eine angemessene Entschädigung fordern ebenfalls die einschlägigen Grundsätze der EMRK.“ (EMRK: Europäische Menschenrechtskonvention, Schutz des Eigentums, Seite 17)

Um welche Dimensionen von Entschädigungszahlen es dabei geht, hat Hans Christian Markert auf einer Veranstaltung im September 2012 in Gronau dargelegt: „Der Schadensersatz liegt bei 6 Milliarden Euro, das hat Urenco selbst gesagt. Ich halte diese Zahl für aus der Luft gegriffen und begründe das damit, dass diese Anlage nur gegenversichert ist in der Höhe von 300 Millionen Euro. Deswegen bin ich der Auffassung, wenn eine Anlage für 300 Millionen Euro versichert ist, dann ist das die Summe, über die wir beim Schadensersatz zu reden hätten. Ich halte zwar 300 Millionen Euro für eine gewaltige Summe, angesichts aber der anderen gewaltigen Summen, die wir für Kriege und anderen Quatsch ausgeben für durchaus leistbar, dass eine Bundesregierung, wenn sie endgültig aussteigen will, diese Verantwortung auch übernimmt und zwar hier in Deutschland.“

Bereits im Oktober 2011 berichteten die Westfälischen Nachrichten: „Die Firma Urenco habe bereits angekündigt, dass im Fall des Widerrufs von Genehmigungen Schadenersatzforderungen an das Land gestellt werden. Zahlen nannte der Staatssekretär nicht – die aber hatte Dr. Joachim Ohnemus, Geschäftsführer der Urenco Deutschland GmbH, im Mai dieses Jahres gegenüber den WN angedeutet: Im Falle einer Schließung der Anlage müssten „Milliardenverluste kompensiert werden“, so Ohnemus damals.“ Und gegenüber Westpol vom WDR soll Ohnemus die von Markert erwähnten sechs Milliarden Euro als Schadensersatz genannt haben (siehe ausführlicher hier bei contrAtom).

In der Tat dürfte die Summe, die der URENCO-Geschäftsführer hier nennt, deutlich überzogen sein. Für den Verkauf eines Drittels der URENCO-Anteile erwarten die jetzigen Eigentümer RWE und E.on laut Medienberichten einen Erlös von ca. drei Milliarden Euro. Bedenkt man, dass die URENCO inzwischen vier Urananreicherungsanlagen betreibt, außerdem noch mit der Gesellschaft Enrichment Technologie Company (ETC) für Forschung, Entwicklung und den Bau von Urananreicherungseinlagen ein nicht unbedeutendes Geschäftsfeld zur Hälfte besitzt, dann wäre klar, dass allein die Anlage in Gronau nicht einmal diese drei Milliarden Euro Wert sein dürfte.

Doch selbst wenn die Entschädigung „nur“ bei den von Markert genannten 300 Millionen Euro läge: Vermittelbar dürfte eine Entschädigungszahlung an die Atomkonzerne sicherlich nicht sein. Vor allem aber ist die SPD sicherlich nicht bereit, diesen Weg zu gehen. Und selbst bei den Grünen in NRW hat man den Eindruck, dass eine Stilllegung über das Risiko von Entschädigungszahlungen keine Perspektive ist, Markert also selbst in der eigenen Fraktion nicht überzeugen kann.

Im Koalitionsvertrag stehen daher auch nur drei oder vier Sätze zur Stilllegung von Gronau, nicht gerade ein Hinweis, dass die Grünen sich in NRW intensiv an dieser Frage engagieren wollen.

Wenn der Atomausstieg in Deutschland voran kommen soll, dann ist sicherlich die Bundestagswahl im September 2013 nicht ohne Bedeutung. Wenn es gelingen soll, den Atomausstieg in Deutschland noch einmal zu beschleunigen und auch das Ende für die Urananlagen in Gronau und Lingen an den Start zu bringen – ohne dass es dabei zu Entschädigungszahlen kommt – dann ist noch einiges zu tun.

Eventuell können zwei derzeit laufende Sicherheitsuntersuchungen dabei helfen. Die Landesregierung in NRW überprüft seit dem Sommer 2011 die Anlage in Gronau. Dabei sollen auch die Erkenntnisse aus dem Unfallverlauf von Fukushima berücksichtig werden. Allerdings: Bis heute liegen Ergebnisse dieser Prüfung nicht vor und es ist nicht klar, bis wann mit Ergebnissen zu rechnen ist. Klar ist aber auch: Die Atomaufsicht in NRW gilt nicht gerade als „scharfer Hund“ der Atomaufsicht.

Eine weitere Überprüfung läuft im Rahmen eines zweiten Stresstests der Bundesregierung, bei der nach den Atomkraftwerken nun auch Anlagen wie die in Gronau und Lingen überprüft werden. Die URENCO hat bereits im Spätsommer ihre Ergebnisse an die Reaktorsicherheitskommission übergeben und sich selbst als „absolut sicher“ bezeichnet. Eine Bewertung der Untersuchungen seitens der RSK steht aber ebenfalls bis heute aus. Und: Die Untersuchungen basieren ausschließlich auf Basis der bei den Betreibern vorhandenen Daten. Eigene und vor allem unabhängige Untersuchungen, die einen konkreten Anlagencheck und Schwachstellenanalysen betreiben, sind nicht durchgeführt worden. Auch bei diesem Test gilt, was für die anderen galt: Für die Betreiber sind das weitgehend „stressfreie Stresstests“.

Weitere Artikel zur URENCO und Gronau:

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Dirk Seifert

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