Wie geht Super-Gau? Steuerlos auf der Elbe vor dem AKW Brunsbüttel

AKW Brokdorf – Schiffsunglück auf der Elbe mit anschließendem Super-Gau, Foto: Templermeister/pixelio.de

Während sich in Japan im März 2011 nach dem Erdbeben und Tsunami der Super-GAU in den Rektoren von Fukushima anbahnt, kommt es auf der Elbe auf Höhe des AKW Brunsbüttel zu einem Ereignis, das ebenfalls zu einer atomaren Katastrophe hätte führen können.

„Kurz nach 6 Uhr kam der aus Hamburg mit Ziel Brasilien laufende Massengutfrachter „Berge Fjord“ in Höhe des Atomkraftwerks Brunsbüttel vom Kurs ab. Der Bulkcarrier, der unter der Flagge Panamas fährt, driftete antriebslos auf die Kühlwassereinläufe des Kraftwerks zu.“ So lautete die eher knappe Meldung in der lokalen Brunsbütteler Zeitung am 12. März 2011. (Der Artikel ist leider im Internet nicht verfügbar, Hinweis hier, siehe insbesondere hier, mit einem Link auf ein Foto von der Havarie)

Die Berge Fjord wird unter anderem als Erzfrachter genutzt und gehört mit 159 534 BRZ, einer Länge von 313,5 Meter und einer Breite von rund 57 Meter zu den größeren Schiffen, die auf der Elbe unterwegs sind. Diese Masse Stahl treibt im März 2011 nach einem Brand im Maschinenraum antriebs- und damit steuerlos auf die Kühlwassereinläufe des AKW Brunsbüttel zu. Das Schiff muss den Anker werfen. Acht Schlepper, die eiligst herbei gerufen werden, schaffen es schließlich, den Frachter zu sichern und zu stabilisieren.

Die Kollision eines solchen Schiffs mit den Kühlwassereinläufen des AKW Brunsbüttel hätte katastrophale Folgen haben können. Bei der Masse und Größe dieses Schiffes hätte die komplette Ansauganlage zerstört werden können und sämtliche Notsysteme für die Kühlung der hochradioaktiven Brennelemente hätten einspringen müssen. Noch problematischer wäre es, wenn es sich bei einer solchen Kollision z.B. um einen mit Gas beladenen Tanker handeln würde. Schon dessen Explosionsdruckwelle hätte massive Auswirkungen auf Gebäude auch hinter dem Deich haben können.

Nur wenig weiter die Elbe Richtung Hamburg steht das AKW Brokdorf. Eine Initiative, die sich vor kurzem gegen die Elbvertiefung zu einer Pilgerreise entlang der Elbe auf den Weg gemacht hatte, führte mit Karsten Hinrichsen von  „Brokdorf akut“ ein Informationsgespräch über dieses wenig beachtete Problem: „Maschinenausfälle bei Schiffen und so genannte Blackouts mit völligem Ausfall der Steueranlage sind keine Seltenheit – auch auf der Elbe. Was passiert, wenn ein fahruntüchtiges Schiff auf die Kühlwasseranlage des AKW Brokdorf zutreibt?“

Bei dem AKW Brokdorf, so Hinrichsen, liegen die Kühlwassereinläufe und die Ansaugvorrichtungen für die Notkühlung relativ dicht beieinander. Ein Schiff mit über 300 Metern Länge könnte ohne weiteres bei einer Kollision dafür sorgen, dass gleichzeitig beide Kühlstränge zerstört würden. Die Folgen könnten verheerend sein.

Eine Bedrohung, die auch dem heutigen Umweltminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, bekannt ist. Am 23. März 2011 hielt er als Fraktionsvorsitzender der Grünen in Kiel eine Rede, in der er diesen Vorfall mit der Berge Fjord ausdrücklich als einen Baustein für einen möglichen Super-GAU nennt: “ Was sich seit Fukushima geändert hat, ist nicht die Sicherheit der deutschen AWKs – es ist die Bewertung der Wirklichkeit. Sie, Herr Ministerpräsident, haben einerseits Recht, wenn Sie sagen, dass „solch ein Doppelschlag der Naturgewalten“ bei uns eher nicht eintritt – solch einer nicht. Andere aber vielleicht. Erst vor wenigen Tagen havarierte ein 332 Meter langes Containerschiff, die „Berge Fjord“, nach einem Brand im Maschinenraum auf der Elbe und trieb auf die Ansaugrohre von Brunsbüttel zu. Acht Schlepper mussten es sichern.“

Der Hinweis auf die Verkettung unterschiedlicher Schadenereignisse, die für sich allein jeweils noch beherrschbar sein könnten, spricht der heutige Umweltminister damals deutlich an. Ein solches zusätzliches Ereignis könnte eine schwere Sturmflut sein, bei der es zu Deichbrüchen kommt, die z.B. große Teile des Kraftwerksgeländes von Brokdorf überschwemmen und zum Einsatz von Notmaßnahmen z.B. bei der Stromversorgung des Atommeilers führen.

Wie schlecht es um die Deiche an der Elbe bestellt ist, berichtete die Taz Hamburg im Oktober 2011: „Bei Störfällen in den Meilern an der Elbe ist Schleswig-Holstein hilflos: Die Deiche sind laut Regierung nicht für starke Sturmfluten ausgelegt.“

Welche Auswirkungen hätte es, wenn bei einer solchen Katastrophenlage auch noch ein großes Schiff wegen Sturmlage und aufgrund eines Maschinenbrandes steuerlos in die Kühlwasseransauganlage kracht?

Ein Szenario, dass in seiner Verkettung bei der Frage der Sicherheit der Atomkraftwerke bis heute kaum beachtet wird. Der Grüne Landtagsabgeordneter Bernd Voss machte in diesem Zusammenhang jüngst auf einer Veranstaltung zum „katastrophalen Katastrophenschutz“  im Rahmen einer Anti-Atom-Aktionswoche rund um das AKW Brokdorf noch auf eine weitere Verkettung von Schadensabläufen aufmerksam: Unweit vom AKW Brokdorf befindet sich bei Brunsbüttel ein großes Areal von Chemiefabriken, darunter eine großes Werk von Bayer. Wie würden sich Deichbrüche infolge einer schweren Sturmflut mit extremem Hochwasser auswirken, wenn es in den Chemiefabriken zu Stromausfällen käme, Explosionen mit Freisetzungen chemischer Giftstoffe, einer Krisenlage im AKW Brokdorf und der Notwendigkeit, Evakuierungen einzuleiten? Auf diese Problematik verwies Voss auch schon bei der Landtagsdebatte in Kiel zum Katastrophenschutz Ende 2011 und in der Taz-Hamburg:

Die zitiert Voss: „Der Katastrophenschutz ist vollkommen unzureichend“, befindet Voss. Eine Überschwemmung der Marschen an der Unterelbe sei „nicht zu bewältigen“.

Und weiter kündigt Voss an: Die Grünen wollen weiter bohren: „Wir bereiten detaillierte Nachfragen vor“, kündigt Voss an: „Mit diesen Antworten können wir uns nicht zufrieden geben.“ (Über den Katastrophenschutz, die Landtagsdebatte und die gravierenden Mängel rund um das AKW Brokdorf hier mehr Informationen).

Bis heute allerdings hat sich in Schleswig-Holstein nichts in dieser Sache bewegt! Dabei sitzen die Grünen seit Mai/Juni mit der SPD und dem SSW gemeinsam in der Regierung und Bernd Voss ist weiterhin Landtagsabgeordneter.

Dabei kommen immer mehr staatliche Stellen zu dem Ergebnis, dass dringender Handlungsbedarf vorliegt: Nicht nur das Bundesamt für Strahlenschutz räumt inzwischen ein, dass es beim Katastrophenschutz erhebliche Mängel gibt. Auch der Chef des Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt zu, dass es im Falle von erforderlichen großflächigen Evakuierungen kaum möglich ist, die Menschen in Sicherheit zu bringen (Siehe auch hier).

Seit Fukushima ist auch in Reihen von Atomfreunden klar, dass die Verkettung einzelner Ereignisse, von denen jedes für sich bislang beherrschbar gewesen sein mag, bei einem gleichzeitigen oder nacheinander folgendem Eintreten dazu führen kann, dass es keine Kontrolle mehr gibt.

Was bis Fukushima zum sogenannten Restrisiko gezählt wurde, zu Ereignissen, die nach menschlichem Ermessen als unwahrscheinlich anzusehen waren und gegen die keine technischen Maßnahmen zu ergreifen waren, muss nach dem Super-Gau in Japan als Möglichkeit in Betracht gezogen werden. Das bedeutet: Entweder werden gegen diese möglichen Ereignisse technische Gegenmaßnahmen ergriffen – oder die Atommeiler müssen abgeschaltet werden. Das hat direkt nach Fukushima sogar Bayerns Ministerpräsident Seehofer eingeräumt und den Absturz eines Passagierflugzeuges auf einen Atomreaktor ausdrücklich als mögliche Gefahr bezeichnet.

Offenbar scheint sich bei den Bundes- und Landesregierungen diese tiefe Erkenntnis aus Fukushima langsam zu verflüchtigen. Es wäre gut, wenn die Atomaufsichtsbehörden in den Bundesländern, in Schleswig-Holstein ebenso wie in den anderen Bundesländern, aber auch die verantwortlichen Regierungen diese Probleme wieder auf die Tagesordnung setzen würden und die Debatte über die weiterhin bestehenden Risiken der Atomkraftwerke gesellschaftlich führen. Nur so kann ein weiteres Fukushima verhindert werden!

Dirk Seifert

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