Atommülllager-Suche geht uns alle an: Über 20 Millionen betroffene BürgerInnen
Die Atommüll-Kommission bereitet in Berlin die Standortsuche nach einem dauerhaften und möglichst sicheren Lager für hochradioaktive Abfälle vor. Dabei soll es einen Vergleich von alternativen Standorten geben und eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden. Kommissionsmitglied Wolfram Kudla unter Mitarbeit von Dipl.-Ing. Jörg Weißbach hat nun in einem Diskussions-Papier für die Kommission bzw. die Arbeitsgruppen ermittelt: „Die Zahl der „Betroffenen“ beträgt bei dieser Berechnung für die insgesamt 16 Teilgebiete 20 Mio. Einwohner. Das entspricht 25% der Bevölkerung von Deutschland.“ (Seite 7, Entwurf 2 für AG1) Die Angaben basieren auf einer Auswertung der Regionen, die mit Salzstöcken, Tonstein und Kristallingestein als potentielle Standorte im vergleichenden Suchverfahren grundsätzlich in Betracht kommen könnten. Die Autoren nehmen dabei Kredit von früheren Untersuchungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).
- Auf der Homepage der Kommission sind 2 Entwürfe zu diesem Thema online. Einmal hier und einmal hier (jeweils PDF). Über das Kommissions-Mitglied Prof. Dr. Wolfram Kudla von der Technischen Universität Freiberg berichtet die Homepage der Kommission hier.
Mit Blick auf die Anforderungen an eine Bürgerbeteiligung im kommenden Suchverfahren haben Kudla und Weißbach ihr Papier angefertigt, in dem sie detailliert auf Basis der Untersuchungen der BGR die jeweiligen Regionen beschreiben und die Bevölkerung in diesen Gebieten ermitteln. Dabei listen sie auch die betroffenen Einwohner jeweils nach den Wirtsgesteinen auf:
„Die Anzahl der betroffenen Einwohner beträgt:
Salzstöcke (S1 – S5): 1.205.696 Einwohner
Tonstein (T1 – T4): 15.560.942 Einwohner
Kristallingestein (KG1 – KG7) 4.263.238 Einwohner
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Gesamt: 21.029.876 Einwohner“ (Seite 7, Entwurf 2)
In dem Papier sind weitere Karten und Tabellen enthalten, die detaillierte Darstellungen über die potentiellen Regionen enthalten. Dabei berücksichtigen die Autoren auch einen zusätzlichen „Puffer von 10 km um die Formationen“ als möglicherweise betroffene Bevölkerung.
- Zu einer Fachtagung „Kriterien für die Standortauswahl“ lädt die Kommission für den 29. und 30. Januar 2016 ins Tagungswerk Jerusalemkirche, Lindenstr. 85, 10969 Berlin. Die Einladung ist hier als PDF. Die Veranstaltung ist allerdings bereits ausgebucht.
Die Autoren kommen nach ihren Darlegungen zum Umfang der betroffenen Bevölkerung zu der Bewertung: „Eine Bürgerbeteiligung im Rahmen des Standortauswahlverfahrens erscheint bei einer Anzahl der Betroffenen in der Größenordnung von 22,1 Mio. (bzw. 20 Mio.) nicht möglich. Dies sind etwa 27 % (bzw. 25 %) der Bevölkerung. Selbst wenn durch weitere Abwägungskriterien die Zahl der Flächen weiter eingegrenzt und damit die Zahl der Betroffenen halbiert wird (also 11 Mio. Betroffene), erscheint eine handhabbare, sinnvolle Bürgerbeteiligung auf Grund der hohen Zahl an Betroffenen nicht möglich.
Zudem wird es auch politisch zweifelhaft sein, dass vorab eine Bürgerbeteiligung in Gebietskörperschaften mit ca. 11 Mio. Einwohnern erfolgt (und damit auch „Unruhe“ in diese Gebietskörperschaften eingetragen wird), wenn letztlich für ein Endlager Flächen von ca. 1 bis 2 Landkreisen (ca. 150.000 bis 300.000 Betroffene) benötigt werden.“ (S. 10)
Daher schlagen die Autoren ein Szenario vor, „bei dem die Bürgerbeteiligung realistisch möglich scheint. Dabei wird angenommen, dass durch Planungskriterien und durch vertiefende geowissenschaftliche Abwägung die Anzahl der Teilgebiete auf 8 Standortregionen eingegrenzt werden, die sich wie folgt auf die Wirtsgesteine verteilen:
a) 3 Standortregionen im Salzgestein; je Region sind 2 Landreise mit á 150.000
Einwohnern je Landkreis betroffen
b) 3 Standortregionen im Tongestein; je Standortregion sind 4 Landkreise á
150.000 Einwohner betroffen
c) 2 Standortregionen im Kristallingestein; je Standortregion sind 3 Landkreise á
150.000 Einwohner betroffen“
Ergebnis dieses Vorschlags wäre dann eine Gesamtzahl von 3,6 Millionen betroffenen BürgerInnen. „Ein solches Szenario wird hinsichtlich der Bürgerbeteiligung als maximal möglich und gerade noch handhabbar angesehen. Damit sind ca. 4,5% der Bevölkerung „betroffen““, stellen die Autoren fest.
Das Papier befindet sich in der Debatte.
Über dieses Thema und die BGR-Studien berichtete umweltFAIRaendern:
- Atommüll-„Endlager“ in Thüringen? Studie sorgt für Unruhe
- Atommülllager: Gorleben in Mecklenburg-Vorpommern?
- Jenseits von Gorleben: Atommülllager bei Schwerin zwischen Zarrentin und Bützow?
- Atommülllager: Gorleben im Fichtelgebirge?
- Atommüll-Kommission will reden: Mit Atommüll-Regionen, Endlager-Regionen und – nur wie – mit „kritischen Gruppen“
Bisher wurden in der AG 3 der Endlagersuch-Kommission Salzstöcke zwischen 300 und
1000 m Tiefe als mögliche Endlager-Standorte betrachtet. Dabei gibt es tiefer liegende horizontale Salzschicht praktisch unter ganz Norddeutschland, die sich als Endlager eignen könnte. Wurde die bisher nicht betrachtet, weil diese Art der Lagerung wegen der größeren Tiefe teurer wäre?
Sehr geehrter Herr Hinrichsen,
zum Thema maximale Tiefe eines Endlagers wird es nächste Woche Samstag beim Fachworkshop der Kommission in Berlin einen Vortrag und eine Diskussion geben.
Der wichtigste Grund, warum die Tiefe nicht quasi unbegrenzt in Frage kommt, ist die mit zunehmender Tiefe ansteigende Gebirgstemperatur.
Die Abfälle sind allerdings wärme-entwickelnd. Zur Einhaltung der maximalen Auslegungstemperatur (100°C bei Ton und Granit, 200 °C bei Salz) eines Endlagers müssen die einzelnen Behälter bei zunehmender Tiefe immer weiter auseinander gelagert werden. Das erhöht den Flächenbedarf des Endlagers und damit auch den benötigten Hohlraum unter Tage. Das wiederum ist nachteilig, weil mehr Hohlraum mehr Möglichkeit für die Migration von Lösungen bietet.
Im Endeffekt muss man also die Tiefe gegen die Endlagerfläche und den entstehenden Hohlraum abwägen.
Stand jetzt hat die Kommission allerdings keinen Zahlenwert für die maximale Tiefe eines Endlagers festgelegt. Deshalb wundert mich ihre Aussage.