Was, wenn der Ukraine-Krieg atomar eskaliert?
Was, wenn der Krieg in der Ukraine eskaliert? Was, wenn Atomkraftwerke zur Zielscheibe werden? Was, wenn es im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine zum direkten Einsatz von Atomwaffen käme? Karl-W. Koch wohnt direkt neben dem deutschen Atomwaffen-Stützpunkt in der Eifel und ist Mitglied der Grünen. Der Partei, die grad wieder in der Regierung zurück ist und schlagartig von allen friedensbewegten Wurzeln der eigenen Gründungsgeschichte abgetrennt dem Irrsinn von Heldentum und Waffengewalt zu unterliegen scheint. In einem Artikel warnt der Grüne Friedensaktivist, nicht aus den Augen zu verlieren, was droht, wenn die NATO in den Konflikt direkt rein gerät oder “reingestolpert” oder sogar von Russland angegriffen wird. ATOMWAFFEN-Einsätze mitten in Europa. Der Alptraum, seit den Atombomben auf Japan im Jahr 1945 – die eigentlich für Deutschland bestimmt waren. Wie weit würde ein Putin gehen? Der Text ist bei Grüne.Linke online und auch bei Telepolis veröffentlicht. Mit dem Einverständnis des Autoren dokumentiert umweltFAIRaendern diesen Artikel. In jedem Fall wichtig: Die Arbeit und Positionen der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges – IPPNW.
„Was, wenn der Ukraine-Krieg atomar eskaliert?“ Dokumentation eines Artikels von Karl-W. Koch, Grüne.LINKE.
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Mit dem Krieg in der Ukraine ist eine Konfrontation zwischen den Nuklearmächten Russland und Nato denkbar geworden. Zehn Fragen und Antworten zu den möglichen Folgen
Die Russland-Expertin und ehemalige US-Sicherheitsberaterin Fiona Hill sagte kürzlich in einem Interview über den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die russischen Nuklearwaffen: „Die Sache mit Putin ist, wenn er ein Instrument hat, will er es auch einsetzen.“ (Bezahlschranke)
Von unseren verantwortlichen Politiker:innen und von den Militär-Zuständigen ist ein Zu-Ende-Denken der nächsten politischen und militärischen Schritte eigentlich als selbstverständlich zu erwarten. Verfolgt man die Äußerungen, Statements und Diskussionen in der Öffentlichkeit, kommen berechtigte Zweifel auf, ob diese Selbstverständlichkeit tatsächlich gegeben ist. Betrachten wir die folgenden zehn Fragen:
Kann der Ukrainekrieg atomar eskalieren?
Selbstverständlich! Eine der beiden beteiligten Kriegsparteien ist eine Atommacht. An deren Spitze steht – offenkundig mit uneingeschränkten Machtbefugnissen – ein unberechenbarer und rücksichtsloser Machtpolitiker. Im Fall einer drohenden militärischen Niederlage wird diesen nichts und niemand abhalten, zur Wendung des Kriegsverlaufes auch zu „stärkeren“ Waffen zu greifen.
Kann die NATO „unfreiwillig“ in den Krieg hineingezogen werden?
Selbstverständlich! Anlässe für einen Gegner, der vielleicht nur einen Vorwand sucht, weiter zu eskalieren, liefert die Nato bereits heute. So sind die Lieferungen von Waffen (Flugzeugabwehr, Panzerfäuste, …) eindeutig ein „feindseliger“ Akt. Würden diese ausgeweitet, wie etwa diskutiert auf Kampfflugzeuge, steigt die Gefahr. Auch könnten Angriffe des russischen Militärs auf die Waffentransporte bereits in Polen erfolgen, was einen Nato-Fall nach Art. 5 auslösen würde.
Kann es eine NATO-Entscheidung geben, aktiv in den Krieg einzugreifen?
Selbstverständlich! Die Diskussionen laufen bereits auf Hochtouren. Die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine würde zwangsläufig einen Eingriff der NATO nach sich ziehen und damit diese zum Kriegsteilnehmer machen. Soll die Flugverbotszone wirksam sein, müssen russische Flugzeuge dort verhindert werden. Nur auf „Anweisungen“ werden diese den Luftraum nicht verlassen, sie müssen also abgeschossen werden, faktisch wäre spätestens das der Kriegseintritt der Nato.
Weiterhin kann bei zunehmender Verschärfung der russischen Bombardierungen ein Moment erreicht werden, wo das Entsetzen auf Seiten der Bevölkerung der Nato-Länder so groß wird, dass diese ihre Regierungen zum Kriegseintritt drängen. Das ist insbesondere zu erwarten, wenn die russischen Truppen ABC-Waffen einsetzen, also Atomwaffen (s. 1.), biologische – meines Erachtens eher unwahrscheinlich – oder chemische Kampfstoffe.
Selbst unterhalb dieser Ebene wäre ein Eingreifen denkbar, wenn etwa durch den Beschuss von Atomanlagen eine große radioaktive Verseuchung ausgelöst würde. Der gezielte Beschuss eines Zwischenlagers würde dazu schon ausreichen. Angriffe auf Atomanlagen gab es bereits.
Wäre ein atomarer Schlagabtausch begrenzbar?
Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht! Die Ursache liegt in der Logik der atomaren Kriegsführung: Auf jeden Einsatz von Atomwaffen wird ein Gegenschlag geführt, das Prinzip der Abschreckung. Die Abläufe sind aufgrund der äußerst kurzen Reaktionszeiten so eingespielt, automatisiert und festgelegt, dass praktisch kein Handlungs- oder Entscheidungsspielraum für die Verantwortlichen gegeben ist.
Das Prinzip der atomaren Kriegsführung ist die „Enthauptung“ des Gegners, waffentechnisch wie personell. Das heißt, die eignen Atomraketen müssen sofort abgefeuert werden, wenn ein Angriff droht, da sonst die Gefahr besteht, dass der Befehlshaber und/oder die eigne Abschussmöglichkeit vernichtet sind, bevor die Entscheidung gefallen wäre.
Dank der neuesten Hyperschalltechnik hat sich diese Reaktionszeit nochmal deutlich verkürzt, die ehemaligen 20 bis 30 Minuten sind schon lange überholt. Auch sind atomar bewaffnete U-Boote kurz vor den Küsten stationiert, was ebenfalls kürzeste Angriffszeiten erwarten lässt.
Wäre ein Atomkrieg nach dem ersten Schlagabtausch beendbar?
Hier gilt das eben Gesagte: Vermutlich nicht! Wer einen Atomkrieg beginnt, geht davon aus, dass er ihn auch gewinnt, sonst beginnt er ihn nicht. Auch lassen die zeitlichen Abfolgen keine Zeit zur Besinnung oder gar zur Verhandlung. Wird ein Atomkrieg begonnen, ist er vermutlich erst dann zu Ende, wenn alle gebrauchsfertigen Waffen verschossen sind oder deren Abschussbasis zerstört wäre.
Eine Ausschaltung der gegenseitigen Befehlsstruktur bringt dagegen wenig, weil das „eingepreist“ ist: Die Abläufe sind automatisiert, dass sie nach dem grundsätzlichen ersten Feuerbefehl keine neuen Zwischenbefehle benötigen. Beide Staaten haben mit beweglichen und versteckbaren Atomwaffen (landgestützt-transportabel, Bomber – die im Krisenfall dauerhaft in der Luft sind oder auf U-Booten) die sichere Möglichkeit eines Vergeltungsschlages.
Die einzige makabre, aber unrealistische Chance wäre, wenn eine Seite eine einzige oder ein paar wenige Atomwaffen einsetzt und damit die Gegenseite so beeindruckt, dass diese kapituliert.
Welche Rollen spielt die „Nukleare Teilhabe“ Deutschlands im aktuellen Krieg?
Genau dafür gedacht! Die aktuelle Situation ist eines der wenigen ernsthaft angedachten Einsatzszenarien für die Bomben aus Büchel: Sie sind geplant für den Einsatz in großen Schlachten bei einem Angriff Russlands. Dort sollen die Bomben auf große Gefechtseinheiten des Gegners eingesetzt werden. Aber schon allein der über 60 Kilometer lange Konvoi in Richtung Kiew in der zweiten Kriegswoche zeigt, wie wenig das funktionieren würde. Direkt zerstört würde dann ein Bruchteil dieses Konvois (und weite Teile der Umgebung, rechts und links mehrere Kilometer breit).
Droht ein Erstschlag gegen Büchel?
Selbstverständlich! Denn das eben Gesagte führt umgekehrt zu dem gern verdrängten Problem: Büchel ist (wie z.B. auch Ramstein und Spangdahlem als militärische Drehkreuze der USA) ein eindeutiges Ziel für Russland, falls sich Putin zu einem präventiven Erstschlag entscheidet. Die Bevölkerung dieser Regionen sollte darüber informiert werden, es müssen die entsprechenden Notfallpläne veröffentlicht werden, falls diese überhaupt vorliegen.
Welche Folgen hätte ein atomarer Schlagabtausch in der Ukraine?
Vernichtende Folgen! Die direkten Folgen wären eine massive Zerstörung des betroffenen Gebietes. Die aktuell zur Anwendung kommenden Atomwaffen haben meistens eine deutlich stärkere Sprengkraft als die in Hiroshima eingesetzte Bombe.
Diese wird meistens in Vergleichen als Referenzgröße herangezogen. Die B61-Bomben in Büchel haben etwa die 10-fache Sprengkraft der Hiroshimabombe und werden aktuell eher als „kleine“ Atomwaffen gewertet. Zum Feuersturm und den Druckwellen kommt die radioaktive Verstrahlung der betroffenen Gebiete.
Neben der direkten Auswirkung ist die indirekte Wirkung zu beachten, eine drastische Änderung des lokalen, aber auch des weltweiten Klimas, der sog. nuklearer Winter:
Studien haben errechnet, dass der Einsatz von 50 bis 100 Atomwaffen zu einem nuklearen Winter führen, bei dem Staub, Ruß und Flächenbrände auf der betroffenen Erdhälfte (Nord/Süd) zu einer Verdunklung und damit Abkühlung der Erdatmosphäre über Jahre führen würden.
Die Hungersnöte durch Ernteausfälle wären noch drastischer als die direkten Folgen der Atombomben. Dazu kommen hohe Werte von UV-Strahlung durch den Abbau der Ozonschicht. Eine deutliche Abkühlung der Erdatmosphäre über Jahrzehnte wäre eine weitere Folge. Unvorstellbar wäre die Auswirkung eines großen Atomkrieges mit 20 – 30 % des vorhandenen Potenzials. Direkt einsetzbar sind jeweils ca. 1600 Atombomben beider Seiten. In einem großen Atomkrieg ist daher mit dem Einsatz von mindestens 500 bis 1000 Atomwaffen zu rechnen.
Ist ein Atomkrieg zu gewinnen?
Jein! Diese Frage ist nur zu beantworten, wenn klar ist, wer gegen wen diesen Krieg führen würde. Im Fall USA gegen Russland gehen alle Fachleute davon aus, dass dieser Krieg für keine Seite gewinnbar wäre. Die Zerstörungen auf beiden Seiten und die Folge des Nuklearen Winters wären so zerstörerisch, dass auch das „siegreiche“ Land (und vermutlich der Rest der Menschheit) um Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückgebombt wäre.
Zusammenbruch der meisten, wenn nicht aller Zivilisationen, weltweite Hungersnöte, verseuchtes Trinkwasser, nicht behandelbare Krankheiten und Hunderten von Millionen toter und verletzter Menschen wären das Ende von zumindest weiten Teilen der heutigen Welt. Dabei spielt überhaupt keine Rolle, ob die USA Russland zwölfmal oder Russland die USA achtmal vernichtet hat.
Auch bei zwei „kleineren“ Atommächten, etwa Indien gegen Pakistan, wäre vermutlich – falls kein Überraschungsschlag gelingt – ein solcher Krieg nicht zu gewinnen. Gelingt es der anderen Seite noch den Gegenschlag durchzuführen, sind jeweils 10, 20 oder mehr Großstädte vernichtet. Bezüglich der weiteren Folgen wie u.a. des Nuklearen Winter gilt das unter dem achten Punkt Gesagte.
Ein begrenzter Atomkrieg einer Atommacht gegen einen Nicht-Atom-Staat ist militärisch gewinnbar. Die Infra- und Militärstruktur des gegnerischen Staates ist mit einer überschaubaren Menge an Atomwaffen weitgehend vernichtbar.
Gibt es eine Exitstrategie?
Nein! In der Logik der Nuklearen Abschreckung ist kein Platz zum Überlegen und Abwägen weiterer Folgen. Hat sich eine Seite zum Einsatz entschlossen, ist keine Unterbrechung mehr denkbar. Auf eine Aktion (Atomwaffeneinsatz) MUSS umgehend – schon vor den Einschlägen – die Reaktion erfolgen, sonst droht die Vernichtung der Zweitschlagmöglichkeit und/oder der Befehlsinfrastruktur.
Ohne Gegenschlag hätte der Angreifer gewonnen. Ist die Zweitschlagkapazität nicht gegeben oder ausschaltbar, wird der Gegner zum Erstschlag ermuntert, der Krieg wäre gewinnbar. Erst- und Zweitschlag müssen jeweils die weitgehende Vernichtung der gegnerischen Kapazitäten sicherstellen. Im Ernstfall würde das vermutlich innerhalb weniger Stunden ablaufen, es gibt also keine Möglichkeit für einen „Exit“.
Einzig der gezielte Einsatz weniger Atomwaffen – womöglich mit entsprechendem Hinweis an den Gegner – böte eine Exitchance. Schon diese Variante ist unwahrscheinlich, ob der Gegner dann darauf wie gewünscht innehaltend reagiert oder stattdessen den großen Erst(?)-Schlag ausführt völlig offen, mit dem entsprechenden Risiko für den ersten Angreifer.
Fazit: Jede:r, der/die einer weiteren Eskalation des Ukrainekrieges das Wort redet, sollte sich über die Folgen des Einsatzes von Atomwaffen informiert haben.