Die Schmetterlinge: Herbstreise – Lieder zur Lage – Die Songtexte – Seite 1
Die Geschichte lässt sich singen. Neben Ton Steine Scherben dürfte im deutschsprachigen Raum vor allem die „Proletenpassion“ als herausragendes Album der Schmetterlinge ein Meilenstein dafür zu sein. 1979 erschien von den Schmetterlingen das Album „Herbstreise – Lieder zur Lage“. UmweltFAIRaendern veröffentlicht jetzt nach und nach die im Internet bislang nicht verfügbaren Songtexte dieses Albums und wird die Lieder auch als Videos präsentieren. Das Album ist ein unglaubliches Schlaglicht auf die Zeit Ende der 70er Jahre in Westdeutschland. Nicht nur inhaltlich, mit den Texten von Heinz R. Unger, sondern auch musikalisch ist das Album herausragend.
Die Songs sind nicht nur ein wichtiger Teil Zeitgeschichte, sie sind ebenso ein bis heute wichtiger und immer noch aktueller Beitrag der Kämpfe nicht nur der Anti-AKW-Bewegung. Für die Erlaubnis, dieses Album komplett online zu bringen, bedanke ich mich bei den Schmetterlingen Georg Herrnstadt (Musik), Beatrix Neundlinger (Gesang) und Heinz R. Unger (Texte).
- Schmetterlinge auf MYSPACE
Die damalige BRD war geprägt von den Kämpfen der Anti-Atom-Bewegung um Brokdorf, Grohnde und Kalkar. Sie war geprägt, von den alten Nazis, die den Aufbau der BRD aktiv mitgestalten konnten – ohne sich darüber sorgen zu müssen, für ihre Verbrechen im Faschismus angeklagt zu werden.
Im Kontext der internationalen Befreiungsbewegungen und dem Vietnam-Krieg, den Folgen der 68er und die Kämpfe um „mehr Demokratie“, um Befreiung, die Entführung und Ermordung von Schleyer durch die RAF, die Entführung der „Landshut“ und die staatlichen Reaktionen im „Kalten Herbst“ – und vieles mehr – Wegmarken, die für die gesamte Linke in Westdeutschland prägend waren. Die Stahlarbeiter – damals noch eine wichtige deutsche Industrie – streikten viele Wochen lang für die Einführung der 35 Stunden Woche und bestimmten mit den Streiks, die bis heute einzigartig geblieben sind, die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Freiheit.
Von der „Herbstreise – Lieder zur Lage“ sind auf umweltFAIRaendern als Video bereits die Lieder der Seite 1 veröffentlicht:
- Die Schmetterlinge – Auf unserem langen Weg
- Die Schmetterlinge – Ein leises Lied
- Die Schmetterlinge – Guter Mond, du hängst so stille
- Die Schmetterlinge – Klein, aber geheim
- Die Schmetterlinge – Lied des Richters
- Die Schmetterlinge – Warte, warte nur ein Weilchen
- Die Schmetterlinge – Drei rote Pfiffe
- Die „Herbstreise“ der Schmetterlinge wurde 1979 veröffentlicht. Aufgenommen im Januar, Februar, März 1979 im Schmetter-Sound-Studio. Produziert von den Schmetterlingen, LP: Ariola 200 510 – 365 (Ö)
- Auf unserm langen Weg (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (4:48)
- Ein leises Lied (Herrnstadt – Resetarits/Lieckfeld) (2:52)
- Guter Mond, du hängst so stille (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (1:51)
- Klein, aber geheim (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (2:45)
- Lied des Richters (Tampier/Unger) (3:53)
- Warte, warte nur kein Weilchen (Meixner/Lieckfeld) (2:43)
- 3 rote Pfiffe (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (4:17)
- Hände über Hönnepel (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (7:04)
- Liebesgrüße aus Österreich (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (5:21)
- Der große Stahlarbeiterstreik 1978/79 (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (5:12)
- Das letzte Lied (Herrnstadt – Resetarits/Unger) (2:42)
Komponiert, arrangiert, gesungen und gespielt von den Schmetterlingen
BEATRIX NEUNDLINGER Flöte, Gesang
GÜNTER GROSSLERCHER Akustische Gitarre, Aufnahmeleitung
GEORG HERRNSTADT Klavier, akustische Gitarre, Gesang
ERICH MEIXNER Bass, Akkordeon, Gesang
WILLI RESETARITS Schlagzeug, Gesang
HERBERT ZÖCHLING-TAMPIER Elektrische Gitarre, Gesang
HEINZ R. UNGER Text-Schmetterling
©1998 Franz DECKENBACH |
HERBSTREISE – LIEDER ZUR LAGE
Musik: Schmetterlinge
Texte: Heinz R. Unger,
außer * von C.P. Lieckfeld
Seite 1
Die Lieder dieser Platte sind Auswertungen
unser Erfahrungen auf vielen Tourneen,
Ergebnisse vieler Diskussionen. Einige dieser
Lieder sangen wir schon auf unser
„Herbstreise“, andere – etwa „Der große
Stahlarbeiterstreik 1978/79“ – entstanden
erst durch die konkreten Erlebnisse dieser
Fahrt.
Sie winkten uns mit der MP
Und sahen nach unseren Bärten
Als wir in aller Herrgottsfrüh
Den Grenzstrich überquerten.
Wir reisten eilig und mit Hast,
und keinem war nach Singen,
ein fetter Adler saß am Ast,
mit kurzgestutzten Schwingen.
Der Schwung der Hügel wirkte noch
Wie vor der Grenze auch,
doch jeder schlug den Kragen hoch,
es kam ein kalter Hauch.
Auf unserm langen Weg
Wir haben den kalten Wind auf den Straßen mitbekommen
Auf unserem langen Weg von Stadt zu Stadt
Und wir haben, was wir sahen, eingepackt und mitgenommen
Doch wir haben, was nicht für jeden hier ein Lied parat.
Denn so ein Lied, damit ihrs wisst,
ist was einfaches, was schwer zu machen ist.
Die Zeit ist kalt und manchen fuhr das Zittern in die Knochen
Und mancher, den wir kannten, hat sich still verkrochen
Und hat mit der Kälte arrangiert
Doch viele sehen. Da braucht es Gegenwehr,
und die sich wehren werden immer mehr.
Ja, es wird auch gesungen in den finstren Zeiten,
das sind die Lieder vom vorenthaltnem Lich.
Wenn wir nicht nur mit unsren Liedern streiten,
bekommen unsre Lieder erst Gewicht.
Denn eins ist klar, so darfs nicht weiter gehen,
laßt uns gemeinsam an die Arbeit gehen.
Ein leises Lied*
Liebling, dies Lied nicht so laut;
Dies ist sozialer Wohnungsbau.
Oder dreh die Bässe rein,
dann hört man den Text nicht so genau.
Der nebenan ist Amtmann.
Man weiß nicht so genau,
was der in seinem Amt kann,
und – du kennst ja seine Frau.
Ich hörte gestern sie im Flur.
Sie sang mit der von oben
Die ganze schränke Partitur
Vom „roten Feind“ in Moll und Dur.
Und als ich freundlich grüßend dann
Mit Plastiktüten schwer bepackt
Vorbeiging, schwiegen beide. Mann,
die Blicke brannten im Kreuz.
Liebling, bist du so naiv,
die Zeitung hier zu abonnieren!
Die haben dafür ein Archiv,
in das sie alle einsortieren.
Und unserem Kind bring bitte bei,
dass es nicht so viel fragen soll.
Wer weiß, wohin die Fragerei
Uns sonst am Ende bringen kann.
Vielleicht liegt es auch nur daran,
daß man mal dreißig wird, mein Schatz,
und daß man mehr verlieren kann
als Träume – seinen Arbeitsplatz.
Sag nichts! Sag bitte nichts!
Verdammt, die Platte nicht so laut!
Du bringst uns alle in den Knast.
Vielleicht sind Wanzen eingebaut…
In mein Gehirn. Ich glaub es fast.
Guter Mond, du hängst so stille
Guter Mond, du hängst so stille
Runter von`nem deutschen Ast.
Hast du ängstliche Gefühle,
weil du eine Sichel hast?
Weiß du, wieviel Sternlein wimmeln?
Doch kein einzige blitzt rot,
denn das hätt´ an deutschen Himmeln
sicherlich Berufsverbot.
Deutschland – Wintermärchen,
krümme mir kein Härchen,
in bin klein, mein Herz ist dein,
laß mich nicht verdächtig sein.
Klein, aber geheim
Dort, wo sich Mengen drängen,
muß ich mich dazwischenzwängen,
lausch Gesprächen und Gesängen
auf den Plätzen und in Gängen.
Ich bewege mich im Volke,
wie ein Vogel in der Wolke!
Klein, aber geheim, das kommt vom Haferschleim.
Klein, aber oho, ich liebe die FDGO.
In Kneipen, wo die Linken trinken,
und auch die, die links nur blinken,
rieche ich mit meinem Zinken
Gedanken, die zum Himmel stinken.
Ich bin in dem geheimen Plan
der freien Welt ihr Riechorgan!
Klein, aber geheim. Ich wär´ gern bei der GSG 9.
Klein, aber oho, ich schütze die FDGO.
Auch wo die Emanzen tanzen,
muß ich meine Wanzen pflanzen,
hinter Pflanzen mich verschanzen
oder unter Teppichfransen.
Ich fall nicht auf, ich tret nicht vor.
Ich bin der freien Welt ihr Ohr!
Klein, aber geheim, ich wär gern bei der GSG 9.
Klein, aber oho, ich schütze die FDGO.
Lied des Richters
Die Zeiten haben sich überpurzelt
Ich stand wie ein Felsen im Fluß.
Im Boden des Rechtsstaats verwurzelt,
weil einer ja fest bleiben muß.
Schon jung hab´ ich Läuse vernichtet
Gestützt auf das harte Gesetz.
Ich habe damals gerichtet,
und richte auch hier und jetzt.
Deutschland, jetzt schlägts aber dreizehn,
sie sagen, sie trennen die Spreu jetzt vom Weizen.
Im Namen des Rechts und der Rechten.
Deutschland, sie wollen dich knechten
Kuschende Bürger, das ist´s was sie möchten,
die ängstlich an allem vorbeisehn.
Ich sing noch die zackigen Chöre,
und habe die Zeit nicht verschlafen.
Die Meinhof war noch eine Göre,
da gabs schon Gewaltparagraphen.
Sie ducken sich und sie flüstern.
Und das war ja schließlich bezweckt.
Sie schweigen und blähen die Nüstern.
Jetzt haben sie wieder Respekt.
Deutschland, …
Der Verteidiger fällt aus der Rolle,
na, so wird er halt ausgeschlossen.
Und lockerer sitzt die Pistole.
Gesetzlich gedeckt wird geschossen.
Wir haben Berufsverbotslisten
Und Radiakalenerlässe gedruckt.
Das trifft nicht die paar Terroristen,
sondern jeden, der sich kratzt wenns ihn juckt.
Deutschland, …
Warte, warte nur kein Weilchen*
Diesen Text fanden wir in dem Gedichtsband
„Gedichte unter Zeitdruck“ von C.P.Lieckfeld
(Oberbaum Verlag, Berlin 1977). Später lernten wir
C.P. in Hamburg persönlich kennen und begannen, auch
Andere Texte von ihm zu vertonen.
Er muss nicht wieder braune Hemden tragen,
die rechte Hand bleibt an der Hosennaht.
Er muß nicht Juden, kann auch andre jagen,
vielleicht braucht es noch nicht mal Stacheldraht.
Er muß sich keinen rechten Scheitel richten
Und nicht in Knobelbechern stehn.
Er muß ganz sicher nicht gestabreimt dichten
Und nicht gestapohaft in Leder gehen.
Es liegt an uns, ob wir sie noch erkennen,
bevor sie sich mit unserem Blut beschmieren.
Es ist egal, wie sie sich heute nennen;
Nur was sie tun, darf uns interessieren.
Ganz offiziell kann er in Bonn aus Ämtern schreiten,
wie er es in Berlin bereits getan.
Er wechselt Kleider mit den Zeiten:
Man baut jetzt Rampen und nicht Autobahn.
Es liegt an uns ….
Drei rote Pfiffe
Wir trafen Helena K. in ihrem Heim im
slowenischen Teil Kärntens. Sie erzählte
uns ihre Lebensgeschichte. Unter dem
Namen „Jelka“ war sie als Partisanin an
der Befreiung Österreichs vom Hitler-
faschismus aktiv beteiligt. Heute, als alte
Frau, muß sie miterleben, daß alte und neue Nazis in Kärnten fröhliche Urständ
feiern, während die slowenische Minderheit
um ihre vorenthaltenen Rechte kämpfen muß.
(„Jelka“ erzählt, wie sie damals
Jemanden den Weg zu den Partisanen
beschrieb“)
„Du, Leppen nach Hrebelnik drüben
Haben sie an Bunker, zwei Fichtenstämme,
und rüber haben sie so schön – von Fichten, diese Skorjen
(Ringe) drüber, dort wirst sehen. Aber du mußt pfeifen
(pfeift), dreimal mußt pfeifen, sonst ist Alarm.“
Im Kreis ihrer Enkel die alte Frau
zeigt mit erhobener Hand
auf die Wälder, die dunklen, über der Drau:
Jetzt zeige ich euch euer Land.
Dort drüben da hab ich geschuftet am Hand,
als ich ein Kind noch war.
bei der Christmette mit Glockenklang
hing Eis von Rock und Haar.
Die Bergknappen kamen zum Lindenwirt,
und flüsterten heimlich, mit List,
daß sich in der Welt was ändern wird,
daß nicht bleiben muß, wie es ist.
Verschwiegene Bäume.
Verschworener Wald.
Und drei rote Pfiffe, drei rote Pfiffe,
im Wald.
Die Drau hinunter trieb Mond um Mond,
es brach der Faschistenkrieg aus.
Da hatte ich dann einen Mann der Front,
und hatte drei Kinder im Haus.
Wie tönte da markiger Nazigesang
von deutschem Boden und Blut.
Manch ein Bursch in die Berge entsprang.
Ich trug Flugblätter unter dem Hut.
Der Gestapo war kalt und der Gauleiter schalt:
Partisanen im eigenen Land!
Ich trug Geflüster und Brot in den Wald.
Sie haben mich Jelka genannt.
Verschwiegene Bäume…
Der Winter was naß und uns wärmte der Haß.
viele sind´s die die Erde heut birgt.
Wir haben gefochten, dort oben am Paß,
und an unsrer Befreiung gewirkt.
Der Krieg was vorbei, da war Stille im Land,
da waren die Lautesten leis,
sie nahmen das Hitlerbild von der Wand,
ihre Westen die wuschen sie weiß.
Ihr, meine Enkel, was hört ihr so stumm
die alten, die kalten Berichte?
Jetzt trampeln sie wieder auf euren Rechten herum –
erinnert euch meiner Geschichte!
Verschwiegene Bäume….