Taumelnde Energiekonzerne: Atomenergie am Ende und was nun?
Die Atomenergie geht – mit wenigen Ausnahmen(*) – Schritt für Schritt in Deutschland ihrem Ende entgegen. Oder eben nicht. Denn die atomaren Hinterlassenschaften werden noch für eine knappe Million Jahre ein wenig Aufmerksamkeit erfordern. Die Stromkonzerne sind mächtig ins Taumeln geraten und suchen verzweifelt nach neuen Perspektiven. Eine davon: Sich um die sogenannten Ewigkeitskosten für die Atommülllagerung zu drücken, neudeutsch als Schaffung einer Bad-Bank zu bezeichnen. Die Zeche sollen die BürgerInnen zahlen. Doch das reicht nicht aus, um aus der schweren Strukturkrise rauszukommen und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Die Konzerne stehen vor dem größten Strukturwandel in der Energiewirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg – und könnten ihn verlieren.
- (*) Die Uranfabriken in Gronau und Lingen, die den Weltmarkt mit angereichertem Uran und mit Brennelementen für den Einsatz in Atomkraftwerken versorgen, sind vom Atomausstieg ausgenommen. Ihr Betrieb ist in keiner Weise befristet.
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Über die „Angst vor der Abwicklung“ berichtet die Süddeutsche Zeitung vor wenigen Tagen. Vorbei sind die Zeiten, als „Deutschlands Atomkraftwerke (haben) jahrelang am „goldenen Ende“ Geld verdient haben: Sie hatten nichts mehr abzustottern, aber viel zu verdienen, grob überschlägig eine Million Euro am Tag. Nur kommt bei ihnen nach dem goldenen noch das bittere Ende: Milliarden wird der Abriss kosten, weitere Milliarden Suche und Bau eines Endlagers. Um die 36 Milliarden Euro haben die Konzerne dafür an Rückstellungen gebildet. Fragt sich nur, ob auf die Milliarden Verlass ist.“
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Und SZ-Autor Michael Bauchmüller schreibt: „Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums haben Gutachter das deutsche System der Rückstellungen unter die Lupe genommen. Ergebnis: Dauerhaft sicher ist da nichts. Das liegt zum Teil in der Natur der Sache, denn die Abwicklung der Atomenergie vom Abriss bis zur Endlagerung wird bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts dauern. Allein für die Suche nach einem Endlager rechnet der Bund mit mindestens 16 Jahren, und das muss dann erst noch gebaut, befüllt und wieder verschlossen werden.“
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Bauchmüller geht in dem Artikel auf das genannte Gutachten weiter ein. (Das Gutachten ist als PDF online verfügbar auf der Seite des Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel). Dort wird von einem öffentlich-rechtlichen Fonds berichtet, in dem die Entsorgungs-Rückstellungen der Konzerne eingebracht und gesichert werden sollen. Bauchmüller fasst zusammen: „Leicht wird das nicht, es ist eine Operation am offenen Herzen: Der rasche Entzug von Milliarden könnte die Insolvenz der Betreiber sogar noch beschleunigen. Die Firmen selbst liebäugeln daher mit einer Art Schlussstrich-Stiftung: Sie besäße neben den Milliarden auch alle Atomkraftwerke – trüge dafür aber bis in alle Ewigkeit die Lasten. Reicht das Geld nicht, müsste der Staat ran. Viele Freunde hat diese Idee allerdings bisher noch nicht gefunden. „Man kann sich nicht jahrzehntelang subventionieren lassen“, sagt Endlagerkommissions-Chef Müller, „und sich dann aus der Verantwortung schleichen.““
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Mit seinem Kollegen Markus Balser schreibt Bauchmüller in einem weiteren Artikel über „Der teuerste Abriss der Geschichte“ und stellt fest: „Überall in Deutschland wird vier Jahre nach der Katastrophe von Fukushima klar, was für ein Riesenprojekt der Atomausstieg wird – abseits der Energiepolitik: Es geht um die Demontage des kompletten Kernkraftwerkparks. „Rückbau zur grünen Wiese“ heißt der Plan im Fachjargon. Das bedeutet: 17 Mal fast eine halbe Million Tonnen Stahl und Beton, die zerlegt, dekontaminiert und entsorgt werden müssen. Das Land steht vor dem wohl teuersten und größten Abrissprogramm in der deutschen Geschichte. Etwa 19 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt. Es mag lange dauern, ein Atomkraftwerk zu bauen – doch sein Abriss dauert noch länger.“
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Die beiden SZ-Autoren berichten ausführlich auch über die Wirrnisse des Rückbaus, die damit verbundenen Risiken und auch Proteste, die es dabei gibt. Denn auch der Rückbau ist unter Strahlenschutz-Gesichtspunkten kein Pappenstil.
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Markus Balser schreibt dann „Warum Deutschlands Energieriesen taumeln„. Er berichtet von den enormen Verlusten bei RWE und E.on, von den Schuldenbergen und kommt mit Blick auf eine jüngst von Greenpeace veröffentlichte Studie von Bontrup und Marquardt zu dem Ergebnis: Nicht Fukushima hat die Konzerne in die Krise gestürzt, sondern diese hat viele Jahre vorher begonnen. „So sei das „stark einseitige Setzen“ auf eine Laufzeitverlängerung ein „strategischer Fehler“ gewesen. Auch ohne die Tragödie in Japan hätte die Branche erkennen müssen, dass die politischen Verhältnisse sich jederzeit ändern könnten. „Das Management der großen Versorger hat die Augen zu lange vor dem absehbaren neuen Energiemarkt verschlossen“, lautet ihr Fazit. Die Wissenschaftler prophezeien Eon, RWE & Co. eine düstere Zukunft: Der Schuldenstand der Konzerne sei hoch, die Kreditratings seien schlecht, und der Wert konventioneller Kraftwerke sei im Sinken begriffen. Gleichzeitig setze der steigende Anteil der erneuerbaren Energien die Konzerne unter Druck. „Diese Schraubzwinge wird für die ehemaligen ‚Big 4‘ absehbar nicht lockerer werden, sondern enger.““
- Heinz-J. Bontrup und Ralf-M. Marquardt haben in einem Arbeitspapier für die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung die “Chancen und Risiken der Energiewende” unter die Lupe genommen. Hier finden Sie das Papier zum download als PDF. Dieses Papier ergänzt bzw. aktualisiert das “Kritische Handbuch der Energiewirtschaft”, das die beiden Autoren vor einiger Zeit ebenfalls bei der Böckler-Stiftung 2010 veröffentlicht haben. Informationen zu diesem äußerst lesenswerten Buch finden Sie hier.
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Die Politik hat ja die Gesetze für die AKW-Betreiber gemacht: Keine Pflicht zum Rückbau; kein Fonds, in dem die Rückstellungen sicher sind; Aushöhlung der Grundsatzes der Strahlenminimierung dadurch, dass ca. die Hälfte der beim Rückbau anfallenden radioaktiven Materialien als „unbelastet“ in den Wirtschaftskreislauf entlassen werden können (dadurch wird teures Endlagervolumen eingespart); Anträge zum Rückbau, die derart unkonkret und oberflächlich sind, dass die Betreiber mit einem billigen Abriss davonkommen.
Bei all diesem Gejammer über die Seilschaften zwischen Politik und Atomlobby und den Kosten: Wenn Deutschland den Ausstieg wirklich schafft, sind wir anderen Ländern meilenweit voraus, und die erneuerbaren Energien senken die Devisenausgaben an die Ölländer und Ölbarone immer weiter: Wie unvernünftig – noch immer gibt es eine starke Lobby für den Kauf von Öl und Gas. Die Wertschöpfung der Erneuerbaren bleibt dagegen im Lande.
Übrigens: ich lese den Blog „umweltfairaendern“ sehr gern, weil er jeweils eine kurze Zusammenfassung des jeweiligen Themas bietet UND – wenn mensch Interesse hat – Links anbietet, so dass mensch sich eine eigene Meinung durch das Lesen der Original-Texte bilden kann. Weiter so!
Karsten Hinrichsen, Brokdorf