Strahlenschutz: Trotz Kritik des Ärztetages – Bundesregierung will beim Umgang mit belasteten AKW-Abriss-Abfällen nichts ändern
„Während der Umweltverband BUND, die Ärzte der IPPNW und zuletzt der Deutsche Ärztetag vor der Verharmlosung möglicher Strahlenschäden durch die geplante Lagerung von gering radioaktivem Restmüll aus dem Abriss von Atomkraftwerken (AKW) auf normalen Mülldeponien warnen, sieht die Bundesregierung ‚in keinster Weise‘ einen Grund, an der gegenwärtig inakzeptablen Praxis etwas zu ändern“, kritisiert der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel (DIE LINKE) die Antwort der Bundesregierung auf seine entsprechende schriftliche Frage.
Zdebel weiter: „Augen zu und durch. Nach diesem Motto wollen offenbar die Bundesregierung und auch die meisten Landesregierungen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger vor einer flächendeckenden, zusätzlichen Strahlenbelastung aussitzen. Denn für die Bundesregierung ‚handelt es sich bei freigegebenen Stoffen um radiologisch unbedenkliche konventionelle Abfälle‘, so die parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) in ihrer Antwort.
- Nach Warnung des Deutschen Ärztetages: Neue Regelung für gering radioaktive Abriss-Abfälle bei AKWs
- Strahlenschutzgesetz: Dosisgrenzwerte senken – Keine Freigabe für gering radioaktive Reststoffe
Fast überall in der Bundesrepublik entwickelt sich im Zusammenhang mit den gering radioaktiv belasteten Abfällen aus dem Rückbau der Atommeiler Protest vor allem an den Deponie-Standorten, auf denen diese Abfälle ohne weitere Schutzmaßnahmen gelagert werden sollen. Bürgerinnen und Bürger, Deponie-Betreiber und auch Behörden stellen sich vielerorts quer. Kritisiert wird zudem die sogenannte Freigabe, nach der diese belasteten Abrissabfälle (Stahl, Beton) unterhalb von 10 Micro-Sievert ganz einfach auch ins Recycling gelangen können.
Trotz der geringen zusätzlichen Strahlung können durch die großen Mengen und die fehlende Kontrolle gesundheitliche Risiken entstehen, die sich vermeiden lassen. Der BUND (PDF), die internationale Ärzteorganisation IPPNW und DIE LINKE kritisieren die Praxis des sogenannten Freimessens per Gutachten und fordern Änderungen. Als Vorschläge für den Umgang mit diesen Abfällen wird ein Verbot der unkontrollierten Freigabe zum Recycling gefordert sowie die Prüfung von Alternativen, wie die weitere Zwischenlagerung vor Ort an den Atommeilern oder verbesserte und zu kontrollierende Deponien.“
- Siehe auch diesen Bericht im Zusammenhang mit einer Infobroschüre: Versteckt – verteilt – verharmlost: Broschüre zum AKW-Abriss und Atommüll
Schriftliche Frage des MdB Hubertus Zdebel (Fraktion DIE LINKE) mit der Arbeitsnummer 09/101 vom 11. September 2017 (Eingang im Bundeskanzleramt am 11. September 2017).
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des 120. Deutschen Ärztetages (Entschließung des 120. Deutschen Ärztetages 2017, S. 240, http://www.bundesaerztekammer.de/ fi/eadmin/user upload/downloads/pdfOrdner/120.DAET/Beschlussprotokoll 120 DAET.pdf), in dem die Medizinerinnen und Mediziner die sogenannte „Freigabe“ bzw. das Freimessen gering belasteter radioaktiver Abfalle aus dem Rückbau von Atomanlagen in die allgemeine Wiederverwertung und die Lagerung auf normalen Mülldeponien kritisieren sowie davon sprechen, dass die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten völlig unnötig und vermeidbar einer zusätzlichen Strahlendosis ausgesetzt wird, und ist es aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, eine Überarbeitung der bislang gültigen Praxis in der Weise vorzunehmen, dass diese belasteten Abfalle künftig nicht mehr in die Abfallwirtschaft zum unkontrollierten Recycling abgegeben werden können, sondern ähnlich wie in Frankreich an wenigen Orten, die höher abgesichert sind und ausschließlich gleichartige Abfalle aus dem Abriss von Atomanlagen enthalten, kontrolliert deponiert werden (Stellungnahme zu Defiziten der Regelung von Freigaben radioaktiver Stoffe in der Bundesrepublik Deutschland, Oktober 2013, Wolfgang Neumann (Intac), im Auftrag des BUND, S. 50f, https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/atomkraft_freimessung_studie.pdf)?
Antwort Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im BMUB, vom 18. September 2017:
Die Bundesregierung teilt die Bewertung der in Bezug genommenen Entschließung des 120. Deutschen Ärztetages in keinster Weise. Es handelt sich bei freigegebenen Stoffen um radiologisch unbedenkliche konventionelle Abfälle.
Die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) hat das strahleninduzierte Gesundheitsrisiko bewertet. Eine Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert pro Jahr ist nach Auffassung der ICRP so gering, dass sie außer Acht gelassen werden kann. Dieser Bewertung folgend fordern die internationalen Regelwerke zum Strahlenschutz, die „International Basic Safety Standards“ der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sowie die EURATOM-Richtlinien im Strahlenschutz, die Richtlinien 96/29/EURATOM und 2013/59/EURATOM, keine staatliche Kontrolle über Stoffe, von denen eine Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert pro Jahr ausgeht. Dies wurde in das deutsche Atom- und Strahlenschutzrecht umgesetzt.
Die unabhängige Entsorgungskommission (ESK) hat die unterschiedlichen Entsorgungswege in Deutschland und Frankreich im Jahr 2014 verglichen (http://www.entsorgungskommission.de/sites/default/files/reports/vergleichmassenstroeme_homepage.pdf). Danach werden auch in Frankreich ähnlich große Mengen wie in Deutschland in den konventionellen Stoffkreislauf entlassen, allerdings nicht aufgrund eines behördlich kontrollierten messtechnischen Freigabeverfahrens. Die in Deutschland lediglich zur Deponierung freigegebenen Stoffe gelangen in Frankreich zum Teil ohne Beschränkung in die konventionelle Verwertung. Aus Sicht der Bundesregierung ist mit dem unter dem vorgenannten Link näher beschriebenen französischen Vorgehen kein Sicherheitsgewinn gegenüber dem deutschen Vorgehen verbunden. Eine Adaption der französischen Regelungen ist daher nicht vorgesehen.