Nach EuGH-Urteil: Bundesregierung schweigt über konkrete Schritte zur Stilllegung rechtswidriger Atomkraftwerke

Was wird die Bundesregierung mit Blick auf insgesamt bis zu 18 rechtswidrig in Betrieb befindlichen AKWs in den EU-Staaten unternehmen? Auf diese Frage hat jetzt die Bundesregierung dem Abgeordneten Hubertus Zdebel (Fraktion DIE LINKE) schriftlich geantwortet.

Der Europäische Gerichtshof hatte jüngst geurteilt, dass die erteilten Genehmigungen für Laufzeitverlängerungen für die maroden AKWs Doel 1 und 2 in Belgien wegen fehlender Umweltverträglichkeitsprüfungen und grenzüberschreitenden Öffentlichkeitsbeteiligungen rechtswidrig sein. Laut Medienberichten sind insgesamt 18 AKWs allein in den EU-Staaten betroffen.

Hubertus Zdebel, Sprecher für Atomausstieg der Fraktion DIE LINKE: “Die Bundesregierung verweigert jede konkrete Aussage, was sie denn künftig gegenüber den Regierungen in Frankreich, Belgien und anderen betroffenen Staaten unternehmen wird, nachdem der Europäische Gerichtshof Laufzeitverlängerungen für alte Atomkraftwerke (ohne grenzüberschreitende) Öffentlichkeitsbeteiligung grundsätzlich für rechtswidrig erklärt hat. Das ist angesichts der wachsende Risiken durch alternde Atommeiler unverantwortlich. So wie es aussieht, bleibt es auch weiterhin den Bürger*innen und Umweltverbänden überlassen, mit Protesten und Klagen den Ausstieg aus der unverantwortlichen Atomenergie zu erstreiten.”

Dokumentation: Schriftliche Frage des MdB Hubertus Zdebel an die Bundesregierung und Antwort

Berlin 28.8.2019

Frage und Antwort als PDF

Sehr geehrter Herr Kollege,

Ihre Schriftliche Frage mit der Arbeitsnummer 8/342 vom 22. August 2019
(Eingang im Bundeskanzleramt am 23. August 2019) beantworte ich wie
folgt:

Frage 8/342
„In welcher Weise wird die Bundesregierung mit den laut Bundesumweltministerium (BMU) „guten Argumenten” (siehe Quelle) aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach Verlängerung der Laufzeiten für die Belgischen Atomreaktorblöcke Doel 1 und 2 wegen fehlender Umweltverträglichkeitsprüfungen und einer erforderlichen grenzüberschreitenden Öffentlichkeitsbeteiligung nicht rechtens war, gegenüber den Nachbarländern darauf drängen, dass die offenbar insgesamt mindestens 18 Atomkraftwerke im EU-Ausland (siehe: https://www.spiegel.de/wirtschaft/atomkraft-dutzende-meiler-in-europa-laufen-offenbar-ohne-genehmigung-a-1282287.html), die ebenfalls eine Laufzeitverlängerung ohne eine solche grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung erhalten haben, solange abgeschaltet werden bzw. keine Kernbrennstoffe aus bundesdeutschen Uranfabriken mehr erhalten werden, bis entsprechende Beteiligungsverfahren nachgeholt worden sind, und in welcher Weise hat sich die EU inzwischen zur Frage des BMU (siehe Antwort auf meine Schriftliche Frage 74 aus  Bundestagsdrucksache 19/10303) geäußert, ob ein nationales Export-Verbot
für Kernbrennstoffe zulässig ist (BMU PM 29. 7.2019, https://www.bmu.de/meldung/stellungnahme-des-bundesumweltministeriums-zum-eugh-urteil-zu-doel/)?”

Antwort, Bundesumweltministerium, Florian Pronold, Parlamentarischer Staatssekretär, Mitglied des Deutschen Bundestages:

Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere in den Gremien der UN ECE Espoo Konvention, dafür ein, dass erhebliche Laufzeitverlängerungen einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Ergänzend wird auf die Antworten der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen mit den Arbeitsnummern 7 /467 und 8/89 verwiesen.

Soweit die Frage Bezug nimmt auf den Einsatz von Kernbrennstoffen aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland (Koalitionsvertrag, Zeilen 6694 ff), prüft die Bundesregierung mehrere Optionen, um einen rechtssicheren und europarechtskonformen Weg zu finden, eine Ausfuhrgenehmigung zu versagen, wenn Sicherheitsbedenken bestehen und hatte die EU-Kommission im Frühjahr diesen Jahres um Stellungnahme gebeten. Der Generaldirektor der GD Energie der EU-Kommission hat mit Schreiben vom 26. Juni 2019 mitgeteilt, dass die Frage aufmerksam geprüft worden sei und sich die Dienststellen gründlich damit auseinandergesetzt hätten.

Die Kontrolle über die Zuständigkeiten der EU-Kommission bei der Sorgetragung über die Anwendung und die Überwachung der Anwendung von EU-Recht liege jedoch beim  Gerichtshof der Europäischen Union, der alleine für die Auslegung des EU-Rechts zuständig sei.

  • (*) zur UN ECE Espoo Kovention siehe https://www.bmu.de/themen/bildung-beteiligung/buergerbeteiligung/umweltpruefungen-uvpsup/, (Grenzüberschreitende) Umweltverträglichkeitsprüfung

In der Antwort auf die Frage des MdB Hubertus Zdebel wird Bezug genommen auf die Frage Nr. 8/89, die von der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stammt und hier dokumentiert ist:

Was war nach Kenntnis der Bundesregierung bei den 28 europäischen Atomkraftwerken Olkiluoto 1 und 2 (Finnland). Fessenheim 1 und 2 sowie Bugey 2 bis 5 (Frankreich), Forsmark 1 und 2 sowie Ringhals 1 und 2 (Schweden), Beznau 1 und 2; Gösgen und Mühleberg (Schweiz), Krško (Slowenien), Almaraz 1 und 2, Asco 2, Cofrentes und Vandellós 2 (Spanien), Dukovany 1 bis 4 (Tschechische Republik), Hinkley Point B1 und Hunterston B1 (Vereinigtes Königreich) vor der Inbetriebnahme jeweils die bei der Auslegung zugrunde gelegte Betriebsdauer?

Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter vom 21. August 2019

Nach Kenntnis der Bundesregierung beträgt die bei der Auslegung zugrunde gelegte Betriebsdauer für die vier Anlagen russischer Bauart des Typs WWER-440 in Dukovany 30 Jahre. Die bei der Auslegung zugrunde gelegte Betriebsdauer für die 24 genannten Anlagen westlicher Bauart beträgt 40 Jahre.

Außerdem wird von der Bundesregierung in der Antwort auf die Schriftliche Frage von MdB Hubertus Zdebel Bezug genommen auf die Nummer 7/467 – das ist die Frage 158 in Drucksache 19/12234 – 120 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

  1. Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung der Atomkraftwerke im belgischen Doel (www. deutschlandfunk.de/eugh-urteil-zu-atommeilerndoel-1-und-doel-2-belgien-muss.1939.de.html? drn:news_id=1032819), und wird die Bundesregierung Kontakt mit der belgischen Regierung aufnehmen, um Unterstützung bei der Abschaltung der beiden AKWs in Doel anzubieten?

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Florian Pronold vom 7. August 2019

Die Bundesregierung sieht sich durch das genannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in ihrer Rechtsauffassung bestätigt, dass erhebliche Laufzeitverlängerungen bei Atomkraftwerken einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bedürfen. Diese Position hatte die Bundesregierung auch in dem Verfahren vor dem EuGH vertreten.

Das Unterbleiben der notwendigen UVP hat nach Auffassung des EuGH nicht zwingend zur Folge, dass das belgische Gesetz, mit dem die Stromerzeugung durch die Kraftwerke Doel 1 und Doel 2 verlängert wurde, aufgehoben und der Betrieb eingestellt werden muss. Der Gerichtshof hat einen Weiterbetrieb aber an strenge Voraussetzungen geknüpft. Er ist auf den Zeitraum beschränkt, der absolut notwendig ist, um die UVP nachzuholen und eine Legalisierung herbeizuführen. Außerdem kommt ein Weiterbetrieb nur in Betracht, wenn die tatsächliche und schwerwiegende Gefahr besteht, dass die Stromversorgung des Landes unterbrochen wird und auch keine Alternativen (z. B. Zukauf von Strom im Rahmen des Binnenmarktes) zur Verfügung stehen.

Hintergrund der Entscheidung des EuGH ist eine beim belgischen Verfassungsgerichtshof anhängige Klage, mit der zwei belgische Nichtregierungsorganisationen das o. g. belgische Gesetz für nichtig erklären lassen möchten. Der belgische Verfassungsgerichtshof hatte dem EuGH daraufhin in einem Vorabentscheidungsersuchen einen umfänglichen Fragenkatalog vorgelegt, der unter anderem die Frage umfasste, ob Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken nach der UVP-Richtlinie der EU und der Espoo-Konvention einer grenzüberschreitenden UVP bedürfen. Nachdem der EuGH hierzu in seinem Urteil vom 29. Juli 2019 Stellung genommen hat, wird der belgische Verfassungsgerichtshof jetzt unter Beachtung der dortigen Ausführungen über die Nichtigkeitsklage zu entscheiden haben.

Unabhängig von den Rechtsfragen der grenzüberschreitenden UVP ist die Bundesregierung der Ansicht, dass auch in unseren Nachbarstaaten alte Atomkraftwerke vom Netz genommen werden sollten, und hält Laufzeitverlängerungen für den falschen Weg. Sicherheitsfragen zu grenznahen belgischen AKW, so auch Doel, werden regelmäßig in der Deutsch-Belgischen Nuklearkommission erörtert.

Im Oktober 2018 hatte Bundeswirtschaftsminister Altmaier mit der belgischen Energieministerin Marghem eine Absichtserklärung zur Energiezusammenarbeit unterzeichnet. Es wurde insbesondere vereinbart, dass Deutschland Belgien bei der Lösung der besonderen Versorgungssicherheitssituation im Winter 2018/2019 unterstützen wird und dass beide Länder auch in Zukunft bei der Versorgungssicherheit zusammenarbeiten werden. Für den vergangenen Winter wurden auf dieser Basis konkrete Maßnahmen vereinbart und umgesetzt. Für das Jahr 2020 ist die Inbetriebnahme einer direkten Stromleitung zwischen Belgien und Deutschland mit einer Kapazität von 1 000 Megawatt geplant; die dadurch verbesserte Möglichkeit des grenzüberschreitenden Stromhandels wird zur Versorgungssicherheit Belgiens beitragen.

Dse4Zdebel

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