Ärzt:innen gegen Atomgefahren: Friedensgebot im Grundgesetz beachten – Kritik an Macrons aggressiver Atompolitik
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In ihren aktuellen Pressestatements betont die IPPNW vor allem die Bedeutung friedenspolitischer Maßnahmen und Aktivitäten, um Krieg und Leid zu beenden und die Kette von Aufrüstung und Eskalation zu brechen. Das Friedensgebot im Grundgesetz, eine Konsequenz aus dem von deutschem Faschismus und den Nazis angezettelten Zweiten Weltkrieg ist vor dem Hintergrund innenpolitischer und internationaler Entwicklungen von großem Stellenwert. Wichtig, dass die IPPNW die friedenspolitische Verantwortung im Zusammenhang mit dem Geburtstag des Grundgesetzes noch einmal hervorhebt.
Ebenso richtig sind die Hinweise zur Politik Frankreichs und der von Präsident Macron. Frankreich ist Atomwaffenstaat innerhalb der EU. Jüngst war die Rede davon, dass auch Soldat:innen aus EU-Ländern in der Ukraine kämpfen könnten. Frankreich will sein Nuklear-Arsenal ausbauen und spricht dabei auch von einer europäischen Bombe. Mit Deeskalation und Friedenspolitik hat das nicht wirklich zu tun. Die Frage, warum ausgerechnet Macron für seine Politik mit dem Westfälischen Friedenspreis geehrt wird, sollte zurecht überaus kritisch diskutiert werden.
„Macron erhält am morgigen Dienstag den Preis „für sein unermüdliches Engagement um eine Konfliktbegrenzung zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine“. Doch die jüngsten Äußerungen Macrons zum Ukrainekrieg, Frankreichs aggressive Atompolitik und seine Ignoranz gegenüber dem kolonialen Erbe sind kein Ausdruck eines Friedensstrebens“, heißt es in der PM der IPPNW.
- Auch regionale Gruppen rufen zum Protest gegen die Verleihung des Preises an Macron in Münster auf.
IPPNW-Pressemitteilung vom 27. Mai 2024
Emmanuel Macron ist kein Friedensgarant
Friedenspreis für französischen Präsidenten
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW kritisiert die Auszeichnung des französischen Präsidenten Macron mit dem Westfälischen Friedenspreis scharf. Macron erhält am morgigen Dienstag den Preis „für sein unermüdliches Engagement um eine Konfliktbegrenzung zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine“. Doch die jüngsten Äußerungen Macrons zum Ukrainekrieg, Frankreichs aggressive Atompolitik und seine Ignoranz gegenüber dem kolonialen Erbe sind kein Ausdruck eines Friedensstrebens.
Frankreich ist die einzige Nuklearmacht innerhalb der EU. Präsident Macron nutzt diesen Umstand, um sich einerseits als Schutzpatron Europas zu gerieren und den französischen Nuklearschirm als Sicherheitsgarantie für ganz Europa zu inszenieren. Andererseits riskiert Macron mit seinen Gedankenspielen zu französischen Bodentruppen in der Ukraine eine Eskalation des Krieges.
„Die Angebote Macrons an die EU-Länder für eine Beteiligung am französischen Atomwaffenprogramm und einem möglichen europäischen Atomschirm kaschieren seine eigentliche Absicht: Finanzhilfen für das teure Atomprogramm“, so die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen. „Der Präsident lädt zu einer EU-Atomwaffenpolitik ein, die letztlich einer verstärkten nuklearen Abschreckung und einer Proliferation den Weg ebnet. Wir brauchen das Gegenteil: umfassende nukleare Abrüstung, wie es der UN-Atomwaffenverbotsvertrag fordert.“
Aus Sicht der IPPNW müsste gerade Frankreich als Atommacht versuchen, das nukleare Eskalationspotential im Ukrainekrieg zu verringern. Etwa indem es sich gemeinsam mit den vier Atommächten im Sicherheitsrat auf eine „no first use“ Regel verpflichtet, die den Ersteinsatz von Atomwaffen verbietet.
Außerdem weist die IPPNW auf die aggressive und widersprüchliche Atompolitik Frankreichs hin. Aktuell plant Framatome, eine Tochter des französischen Staatskonzerns EDF, gemeinsam mit der russischen Atombehörde Rosatom eine Zusammenarbeit beim Neubau einer Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen. Ein Beweggrund Frankreichs für das russisch-französische Joint Venture ist, dass Frankreichs Atomsparte unter dem Dach der EDF Schulden in Höhe von ca. 54 Mrd. aufweist. Zuletzt stand das Projekt aufgrund absehbarer sicherheitspolitischer Risiken stark in der Kritik.
Für die französische Regierung gehören die zivilen und militärischen Seiten der Atomkraft eng zusammen. Dies hatte der französische Präsident Macron in einer Rede 2020 auf den Punkt gebracht: „Ohne zivile Atomenergie gibt es keine militärische Nutzung der Technologie – und ohne militärische Nutzung gibt es auch keine Atomenergie.“
Anstatt zivile wie militärische Seiten der Atomkraft auszubauen, sollte Frankreich endlich Verantwortung für die Folgen seiner 204 Atomwaffentests übernehmen, die auf dem Territorium ehemaliger Kolonien verübt worden sind. „Die verheerenden medizinischen und Umweltfolgen der Tests sind umfänglich belegt“, so Juliane Hauschulz, Campaignerin für „To Survive Is To Resist“, dem IPPNW-Projekt zu den Folgen von Atomwaffentests. „Frankreich sollte sich jetzt seinem kolonialen Erbe stellen und sich um eine Entschädigung aller Opfer seiner Atomwaffentests und eine umfangreiche Umweltsanierung bemühen.“ Dies würde auch ein wichtiges Zeichen in Richtung der anderen Atommächte senden.
Der Status Frankreichs als Kolonialmacht lässt auch über die fehlende Aufarbeitung der Atomtests hinaus Zweifel am Engagement Macrons für den Frieden aufkommen: Frankreich ist in der Vergangenheit vor massivem Gewalteinsatz zur Wahrung geopolitischer Interessen nicht zurückgewichen. Davon zeugen die Militäreinsätze in der Sahelregion. Mit der Entsendung französischer Truppen in das Überseegebiet Neukaledonien droht der dortige Konflikt zu einem Bürgerkrieg um die Hoheit über die Inselgruppe zu werden.
Die Verleihung des Westfälischen Friedenspreises findet am 28. Mai 2024 in Münster statt. Der Preis erinnert an den Westfälischen Frieden von 1648 und würdigt Persönlichkeiten, die sich besonders für die europäische Integration engagiert haben. Emmanuel Macron verantwortet jedoch Entscheidungen die zulasten von Abrüstung, Nachhaltigkeit und Entspannung innerhalb und außerhalb Europas gehen. Das darf nicht mit einem Friedenspreis geehrt werden.
Dokumentation Nummer 2:
IPPNW-Pressemitteilung vom 23. Mai 2024
IPPNW fordert Rückbesinnung auf Friedensgebot im Grundgesetz – 75 Jahre Grundgesetz
Die IPPNW fordert anlässlich des 75. Jahrestags des Grundgesetzes eine Rückbesinnung auf das Friedensgebot des deutschen Grundgesetzes, das mit der Präambel und dem Artikel 1, Abs. 2 und weiteren Regelungen fest verankert ist. Die Politik der „Zeitenwende“ und der Ruf nach „Kriegstüchtigkeit“ stehen dazu im eklatanten Widerspruch. Kriege werden als Mittel der Politik wieder salonfähig oder gar als alternativlos dargestellt während heroische Tugenden und mit ihnen problematische Männlichkeitskonstruktionen neu aufgelegt werden.
Diese Militarisierung der Gesellschaft gefährdet den sozialen Zusammenhalt und fördert faschistische Tendenzen. Einerseits weil die massive Aufrüstung mit herben Einsparungen in anderen Bereichen wie Arbeit und Soziales, Klima, Entwicklungszusammenarbeit und Bildung einhergeht. So sieht der Bundeshaushalt 2024 mehr Geld für den Rüstungsetat vor als für Bildung, Gesundheit, Wohnen, Umwelt, Entwicklung und Auswärtiges zusammen. Die Aufrüstung geht auf Kosten der dringend benötigten sozial-ökologischen Transformation und wird soziale Konflikte um knappe Ressourcen schüren. Zum anderen ist die „Zeitenwende“ Teil eines weltweit erstarkenden Kriegsregimes. Statt die globalen Krisen durch kooperative Systeme und Multilateralismus anzugehen, droht die Kriegslogik unsere Wirtschaft, Politik und Kultur zu durchdringen. Das Denken in Freund-Feind-Schemata verschärft sich. Klare Feindbilder gefährden sowohl den innergesellschaftlichen Frieden, indem sie „Schuldige“ für die sozialen Probleme ausmachen, als auch den äußeren Frieden, denn sie sollen dazu dienen, eine Gesellschaft „kriegstüchtig“ zu machen.
„Nur wenn Frieden herrscht, kann sich Politik um die Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft kümmern. Faschismus und Militarismus sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir sind daher davon überzeugt, dass wir Antifaschismus und Frieden zusammen denken und angehen müssen. Der Kern unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts ist eine Kultur des Friedens, die auf der Wahrung von Menschen- und Grundrechten, auf Dialog und auf dem Engagement für Abrüstung und Entspannung fußt und auf eine zivile statt eine militärische Sicherheitspolitik fokussiert“, heißt es in einer Resolution, die die IPPNW auf ihrem Jahrestreffen in Frankfurt verabschiedet hat.
Als Friedensorganisation erinnert die IPPNW daran, dass „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ eine Einheit bilden. Denn Faschismus, Rassismus und Militarismus hängen historisch eng zusammen. Der Nationalsozialismus etwa entwickelte rassistische Praktiken des deutschen Kolonialismus weiter, forcierte eine industriell-militärische Entwicklung und propagierte zugleich eine Blut-und-Boden Ideologie.
Gleichzeitig beobachten wir, dass der Schlüsselbegriff „Frieden“, fest verankert in unserem Grundgesetz und in der UN-Charta, in der Öffentlichkeit immer häufiger geächtet wird. Der Begriff bezeichnet vielfältige Formen menschlicher Beziehungen, in denen die Gewalt abnimmt und Konflikte kooperativ und lösungsorientiert bearbeitet werden. Dieses breite Verständnis von Frieden umfasst innergesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Frieden gleichermaßen.
Der Kampf gegen Faschismus und Militarismus hat in der IPPNW eine lange Tradition, so etwa in Projekten für die Aufarbeitung der Rolle der Medizin im Nationalsozialismus, den Einsatz für eine angemessene medizinische Versorgung geflüchteter Menschen und für eine menschenrechtsgeleitete Asylpolitik, basierend auf der medizinischen Ethik und dem Artikel 1, Abs. 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes.
Weitere Informationen:
Die Resolution „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“