40 Jahre Schweizer AKW Leibstadt: Grüner Antrag – Weiterbetrieb nur mit Prüfung und grenzüberschreitender Bürgerbeteiligung
Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen fordern in einem Antrag zur Bundesdelegierten-Konferenz im November: „Keine Laufzeitverlängerung für das AKW Leibstadt (CH) unter Ausschluss von Öffentlichkeit und Umweltverträglichkeitsprüfung!“ Untersuchungen zeigen, dass im Falle eines Unfalls mit Freisetzung von Radioaktivität auch die Menschen in Baden-Württemberg massiv betroffen wären. Der Antrag V-75 ist eingebracht vom Bundestagsabgeordneten Harald Ebner, Mitglied im Kreisverband Schwäbisch Hall, also aus Baden-Württemberg. Ebner ist Vorsitzender des Umweltausschusses des Deutschen Bundestags. Weitere Bundestagsabgeordnete wie Tabea Rößner (KV Mainz), Linda Heitmann (KV Hamburg-Altona), Julia Verlinden (KV Lüneburg), Christina-Johanne Schröder (KV Wesermarsch), Boris Mijatovic (KV Kassel-Stadt) sowie die baden-württembergische Landtagsabgeordnete Jutta Niemann (KV Schwäbisch Hall) gehören neben anderen Aktiven z.B. aus dem Grünen AK Atomenergie zu den weiteren Antragsteller:innen. Auch die langjährige ehemalige Anti-Atom-Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, hat den Antrag gezeichnet. Die IPPNW Deutschland und zuvor schon Organisationen wie der Trinationale Atom-Schutzverband (TRAS), der BUND RSO und die Schweizer Energiestiftung (SES) fordern die Stilllegung der Schweizer Uralt-Reaktoren, in keinem Fall aber dürfe ein Weiterbetrieb ohne UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgen. (Foto: AKW Leibstadt – Wladyslaw Sojka, sojka.photo)
- Der kurzfristig eingebrachte Antrag ist hier im entsprechenden Portal von Bündnis 90/Die Grünen zu finden.
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Das AKW Leibstadt liegt direkt an der Grenze zu Deutschland am Rhein und soll nun für einen Weiterbetrieb über 40 Jahre hinaus nachgerüstet werden. Die grundlegende Konzeption und Auslegung der Anlage stammt aus der Zeit der 1970er Jahre. Als Projektbeginn wird das Jahr 1972 genannt (Wikipedia). Zwar läuft derzeit eine alle zehn Jahre vorgesehene Periodische Sicherheitsprüfung (PSÜ) für das AKW. Aber die international auch für die Schweiz gültigen Anforderungen nach Espoo- und Aarhus-Konvention will Umweltbundesrat Rösti bislang nicht anerkennen.
Dabei geht auch das internationale kerntechnische Regelwerk davon aus, dass ein nuklearer Weiterbetrieb über 40 Jahre hinaus eine Art rote Linie darstelle. Alle Atommeiler sind in ihrer Planung auf eine maximale Betriebsdauer von 40 Jahren ausgelegt worden, stellt zum Beispiel Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Mertins (TH Brandenburg) fest, der sich seit vielen Jahren mit den Sicherheitsfragen der Atommeiler in Deutschland und den Nachbarstaaten befasst hat. Er war lange Zeit bei der Gesellschaft für Reaktor-Sicherheit (GRS) tätig und ist heute auch an der INRAG beteiligt und arbeitet viel zum Thema Risiko alternder Reaktoren (PDF).
- Nicht nur in der Schweiz, auch in Frankreich will man die geltenden Rechtsstandards bei der Betriebsverlängerung über 40 Jahre hinaus nicht einhalten. In Frankreich sollen 20 Atommeiler der Klasse 1300 MW in die Laufzeitverlängerung gehen, ohne dass Espoo und Aarhus angewandt werden sollen. Siehe dazu auch: IPPNW fordert Stilllegung der 1300 MW-Reaktoren in Frankreich – 40 Jahre sind genug. Grenzenlose Atomgefahren.
In einem Antwortschreiben an Stefan Auchter vom BUND RSO erklärt die Umweltministerin aus Baden-Württemberg, Thekla Walker, dass die schweizerische Lesart bislang UVP und Beteiligung nicht plane, stellt aber fest: „Es gibt jedoch gute Argumente, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich wird, wenn die der ursprünglichen Auslegung zugrunde gelegte Laufzeit überschritten werden soll. Bei einem Vorhaben in Grenznähe ist dann selbstverständlich eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich. Da die Schweiz bisher kein derartiges Verfahren plant, sind wir in dieser Sache im Kontakt mit dem Bundesumweltministerium.“ Sie werde sich daher für eine UVP und grenzüberschreitende Beteiligung einsetzen.“
- Hier informiert das BMUV zu den Grundlagen von UVP und Co.
- Ganz aktuell ist auch das hier relevant: Aktuelle Meldung – Neuer Leitfaden für die grenzüberschreitende Beteiligung bei umweltrelevanten Vorhaben veröffentlicht sowie auch und besonders hier bei der Oberrheinkonferenz. Siehe auch direkt hier als PDF.
- Siehe auch: Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espooer Übereinkommen) und das Protokoll über die strategische Umweltprüfung (SUP-Protokoll)
- Auch .ausgestrahlt befasst sich mit den AKWs in der Schweiz
Dokumentation: Der Antrag
Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Harald Ebner (KV Schwäbisch Hall)
und 87 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 51%)
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Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 09:14 |
Antragstext
Am 15. April 2023 gingen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vom
Netz. Seither blieb die Versorgungssicherheit gewährleistet und seither sind
sowohl die Strompreise als auch Anteil der Öl- und Kohleverstromung gesunken,
der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung lag im ersten
Halbjahr 2024 bei 63 Prozent. Das ist eine große Erfolgsgeschichte. Bündnis
90/Die Grünen stehen zum vollzogenen Atomausstieg und setzen sich weiterhin für
ein möglichst zügiges und Verfahren zur Endlagersuche für die radioaktiven
Hinterlassenschaften der vergangenen Atom-Ära bei bestmöglicher Sicherheit und
Öffentlichkeitsbeteiligung ein.
Mit dem Abschalten der letzten Atommeiler hat sich das Risiko für atomare
Unfälle für die Bevölkerung erheblich gesenkt. Dennoch verbleiben durch den
Betrieb von Atomreaktoren in europäischen Nachbarländern weitere weitere externe
Risiken bestehen. In fast allen dieser Länder ist die AKW-Flotte stark
überaltert. Dessenungeachtet beabsichtigt die Schweiz, den 1984 ursprünglich für
40 Betriebsjahre gebauten Reaktor Leibstadt um weitere 20 Jahre im
Leistungsbetrieb zu halten ohne eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen
und ohne eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorzunehmen. Das ist ein unhaltbarer
Zustand!
Bündnis 90/DIE GRÜNEN fordern das Eidgenössische Department für Umwelt, Verkehr
und Kommunikation (UVEK) der Schweiz in Bern dazu auf,
- bei der beabsichtigten Verlängerung der Laufzeit des Atomreaktors in
Leibstadt eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit grenzüberschreitender
Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen und
- die Espoo-Konvention sowie die Aarhus-Konvention vollumfänglich zu
respektieren und umzusetzen.
Begründung
Das Schweizer AKW Leibstadt steht am Rhein, nahe der Grenze zu Baden-Württemberg. Es wurde für einen Betrieb von 40 Jahren ausgelegt und ging 1984 ans Netz . Die Schweiz beabsichtigt nun, dieses AKW für weitere 20 Betriebsjahre vorzubereiten, ohne dass formal eine Laufzeitverlängerung erfolgen soll, denn eine Befristung der Genehmigung gibt es gar nicht. Grunsätzlich aber sind auch die Schweizer AKWs wie andere Anlagen lediglich auf eine Laufzeit von 40 Jahren konzipiert worden. Das zeigen auch kritische Gutachter auf Basis international anerkannter Regeln auf. Expert*innen hatten im Jahr 2021 eine beträchtliche Liste an sicherheitsrelevanten Mängeln identifiziert. Eine zusätzliche Studie belegt: von einem Unfall wäre aufgrund der vorherrschenden Windrichtung überwiegend Deutschland betroffen. Eine Beteiligung der betroffenen Bürger*innen in Deutschland und der Schweiz ist bei dieser Laufzeitverlängerung seitens dem zuständigen Eidgenössischen Department für Umwelt, Verkehr und Kommunikation (UVEK) trotzdem nicht vorgesehen. Eine solche Beteiligung ist aber durch die Espoo-Konvention vorgeschrieben, die auch die Schweiz unterzeichnet hat. Der zuständige Schweizer Bundesrat beruft sich darauf, dass es in der genehmigungsrechtlichen Praxis der Schweiz keine Begrenzung von Laufzeiten für AKW gibt. Daher handle es sich auch nicht um eine Laufzeitverlängerung. Dass das AKW in Leibstadt aber seine baulich vorgesehene Laufzeit überschritten hat, zeigt die geplante Investition von einer Milliarde Franken, ohne die ein weiterer Betrieb nicht möglich wäre. Es handelt sich faktisch um eine Verlängerung der ursprünglich geplanten Betriebszeit und damit eine Laufzeitverlängerung. Artikel 1 (5) der Espoo-Konvention verlangt eine Umweltverträglichkeitsprüfung samt grenzüberschreitender Öffentlichkeitsbeteiligung für „jede größere Änderung eines Projektes“ mit potenziell grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen. Die geplante Laufzeitverlängerung des ausgedienten Grenz-AKW Leibstadt erfüllt diese Voraussetzung. Betroffene Bürger*innen müssen die Chance erhalten bei diesen Plänen mitreden zu können, denn sicher ist auch in Leibstadt nur das Risiko!
Quellen: