Hamburger Diskurs Energiewende – SPD-Mitglieder für vollständige Rekommunalisierung der Energienetze

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Ex-Bürgermeister Henning Voscherau und Regisseur Hark Bohm unterschreiben für „Unser Hamburg – Unser Netz“. 72 Prozent der SPD-Mitglier sympathisieren mit den Zielen des Volksentscheids, so das Hamburger Abendblatt.

Widerspruch aus den Reihen der SPD gegen die offizielle Politik der Hamburger Partei in Sachen Energiewende und Volksentscheid: Mit dem „Hamburger Diskurs“ legen SPD-Mitglieder eine Broschüre vor, in der sie ihre Unterstützung für die vollständige Rekommunalisierung der Energienetze in Hamburg begründen. Mit dem Modell einer Minderheitsbeteiligung von 25,1 Prozent an den Netzgesellschaften von Vattenfall und E.on – wie es die SPD in der Bürgerschaft durchgesetzt hat – sei die Energiewende nicht zu machen, heißt es in der Broschüre, die hier zum Download bereit steht.

Einer der vielen Gründe: Noch immer machen Vattenfall und E.on über 80 Prozent ihrer Geschäfte mit Atom- und Kohlestrom. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen lassen eine Partnerschaft für die Energiewende gar nicht zu.

Update 30. Juli: Die taz-Hamburg berichtet heute unter dem Titel „SPD uneins über Netz-Kauf“ über dieses Thema. #

Viele Hamburger SPD-Mitglieder sympathisieren mit dem Volksentscheid

Volksentscheid über die Energienetze in Hamburg: “Unter den SPD-Wählern sind sogar 72 Prozent für den Rückkauf der Netze…“. Das stellte das Hamburger Abendblatt im Februar nach einer repräsentativen Meinungsumfrage fest. Energienetze Hamburg – Mehrheit für vollständige Übernahme.

Nicht nur bei den SPD-WählerInnen, auch unter den Hamburger Partei-Mitgliedern gibt es viel Sympathie für das Anliegen der Volksentscheids-Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz„.

Keine offene Diskussion und extremer Druck

Kritisiert wird in der Diskurs-Broschüre nicht nur die Position der SPD zum Volksentscheid selbst, sondern auch, wie die Partei mit dem Thema umgeht: „Anlass für diese Ausgabe ist die nicht offen ausgetragene Diskussion um den Rückkauf der Netze“ und: Eine „offene Diskussion darüber in der Mitgliedschaft gab es – soweit der Redaktion bekannt – nicht.“

Beklagt wird aber nicht nur das Fehlen einer offenen Diskussion. Ausdrücklich verweist SPD-Genosse Dietrich Lemke im Editorial auf den extremen Druck, der gegen „Abweichler“ gemacht wird: „Neu allerdings scheint mir die Schärfe, mit der abweichende Meinungen angegangen werden“ und stellt fest: „Die SPD ist immer noch eine Partei der Meinungsäußerungsfreiheit aller Mitglieder.“

Ex-SPD-Bürgermeister: 25,1 Prozent sind zu wenig

Der Hamburger Diskurs erinnert auch daran, dass wichtige SPD-Genossen dem Minderheitsdeal mit Vattenfall und E.on widersprochen haben. „Altbürgermeister Henning Voscherau, der für den Einstieg der Privatisierung der HEW Verantwortung trug, bezeichnet diesen Schritt inzwischen als Fehler. Dem Hamburger Abendblatt gegenüber äußerte er: „Gestaltung, Ausbau und Verantwortung für Einrichtungen der Daseinsvorsorge, ob Wasser oder Energie, müssen demokratisch verantwortet werden und gehören in die öffentliche Hand“, sagt Voscherau, der 2011 das erfolgreiche Volksbegehren Unser Hamburg – unser Netz für den vollständigen Rückkauf unterzeichnet hatte“, heißt es.

Die Volksentscheids-Initiative hatte dieses Statement von Voscherau in einer Wahlbroschüre aufgegriffen. Das aber lehnte Voscherau ab. Im Hamburger Diskurs heißt es zu diesem Disput: „Das ganze Dilemma für uns Sozialdemokraten wird am Verhalten unseres Genossen Henning Voscherau deutlich: Er war einer der ersten, der seine Unterschrift unter die Forderung nach einem Rückkauf von 100% der Netze setzte. Nachdem sich Senat und Bürgerschaft auf 25,1% festgelegt haben, ist es schwer, öffentlich eine andere Position zu vertreten.“

Ein zweiter Ex-Bürgermeister hat sich ebenfalls gegen das Minderheitsmodell ausgesprochen –  Ortwin Runde: „Bei der Organisation von Netzen halte ich Partnerschaften mit der Privatwirtschaft durchaus für denkbar. 51 Prozent für die öffentliche Hand reichen. Damit kann der Staat seinen bestimmenden Einfluss sichern.“ (Nach einem Zitat aus dem Abendblatt, Hamburger Diskurs)

Ausführlich werden im „Hamburger Diskurs Energiewende“ auch die Debatten bzw. Beschlussfassungen der SPD in Sachen Energiewende, Netze und Stadtwerke aus den letzten Jahren dargestellt. Erinnert wird daran, dass es im SPD-Wahlprogramm 2008 – 2012 noch hieß: „Wir werden unter Einbeziehung der Konzessionsverträge für das Hamburger Gas-, Fernwärme- und Stromleitungsnetz die Gründung eines kommunalen Stadtwerkes betreiben.“

SPD – kontrovers: In Hamburg dagegen – in Berlin dafür

Doch was vor wenigen Jahren noch Programm war, wird heute angesichts des bevorstehenden Volksentscheids von der Hamburger SPD-Spitze scharf bekämpft. Kurios auch, weil sowohl die Bundespartei als auch die SPD in Berlin, gänzlich anders aufgestellt sind. In Berlin plädieren die SPD-GenossInnen für die Übernahme der Stromnetze von Vattenfall und unterstützen den dortigen Volksentscheid des Berliner Energietisches. Dazu hier mehr: Energienetze und Volksentscheide: SPD in Berlin gegen – in Hamburg für Vattenfall.

Mehr zum Thema: Vattenfall ist schwer angeschlagen und wird sich offenbar Schritt für Schritt aus Deutschland zurück ziehen: Handelsblatt: Vattenfall sucht Investoren für Komplettübernahme des Deutschland-Geschäfts und Vattenfall Deutschland zerfällt: Verkauf der Braunkohle-Sparte bis Ende 2014

Mit dem von der Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ durchgesetzten Volksentscheid am 22. September soll erreicht werden, dass die Energienetze für Strom und Fernwärme (samt Kraftwerken und KundInnen) sowie für Gas wieder zu 100 Prozent von der Stadt Hamburg und nicht mehr von den Atom- und Kohlekonzernen Vattenfall und E.on betrieben werden.

Dirk Seifert

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