Die Macht der Konzerne: Schadensersatzklagen, TTIP, Vattenfall und E.on

EingangAKWbrunsbuettel-ChristopfBellin-2011Die Atomkonzerne überziehen die Bundesrepublik mit Schadensersatz-Prozessen zum Atomausstieg und versichern ohne rot zu werden: Aber natürlich stehen die zum Ausstieg und zur Energiewende. Besonders „reizend“ ist die – unter strikter Geheimhaltung stattfindende – Vattenfall-Klage vor dem internationalen Schiedsgericht ICSID in Washington. Dort will der schwedische Staatskonzern „Investitionsschutz“ durchsetzen. Knappe 4,7 Mrd. verlangt das Unternehmen für die Abschaltung der Reaktoren in Brunsbüttel und Krümmel. Lachender zweiter im Boot: E.on. In Brunsbüttel ist E.on mit einem Drittel der Anteile beteiligt, am AKW Krümmel sogar zu 50 Prozent. Da die beiden Betriebsgesellschaften für die Atommeiler offenbar unter der Führung von Vattenfall mitgeklagt haben, dürfte auch E.on bei den SteuerzahlerInnen abkassieren, sollte das Schiedsverfahren erfolgreich sein. (siehe z.B. Rheinische Post)

Was derzeit im Rahmen von CETA und TTIP für die gesamte Industrie verhandelt wird und ihnen noch weit über die sonst schon bestehenden Eigentumsgarantien hinausgehende Rechte verschaffen soll, ist im Rahmen der internationalen Energie-Charta bereits Realität und könnte den bundesdeutschen SteuerzahlerInnen hohe Kosten aufbürden. Siehe dazu auch die FR.

4,7 Mrd. Euro für die maroden AKWs Brunsbüttel und Krümmel? Wie eigentlich kommt Vattenfall auf eine derartige Summe? Wofür genau soll dieser Schadensersatz erbracht werden.

Ein Szenario: Im Sommer 2007 gehen beide Atommeiler durch Störfälle vom Netz. Brunsbüttel wird bis zur endgültigen Abschaltung nach der Katastrophe von Fukushima nie wieder Strom erzeugen. Nach der Abschaltung im Sommer 2007 werden im Laufe weiterer Prüfungen etliche Mängel – z.B. mangelhafte Halterungen von Sicherheitseinrichtungen – entdeckt und müssten teuer ausgetauscht werden. Schon zu dieser Zeit, vor allem in den Folgejahren, wird darüber spekuliert, dass es mit der Wirtschaftlichkeit des eher kleinen Reaktors (770 MW) nicht sonderlich gut bestellt ist.

Viele Kosten – z.B. für Personal etc. – liegen fast genauso hoch wie beim erheblich größeren AKW Krümmel (1.400 MW). Hinzu kommt: Seit Betriebsbeginn Anfang der 70er Jahre ist das AKW Brunsbüttel wegen immer neuer Störfälle fast genauso viel abgeschaltet wie am Netz. Die Verfügbarkeit der Anlage ist über die gesamte Betriebsdauer extrem schlecht. Selbst die erhoffte Laufzeitverlängerung (Wikipedia) hätte daran nur unwesentlich etwas verändert, denn immer stärker machte sich die Liberalisierung der Strommärkte und die Energiewende bemerkbar.

Anders sieht es im deutlich jüngeren AKW Krümmel aus. Nach dem Trafobrand im Sommer 2007 versucht Vattenfall mit umfangreichen Reparaturen im Sommer 2009 die Anlage wieder ans Netz zu nehmen. Doch das wird zur Bruchlandung. Erst werden im Reaktorwasser Teile entdeckt, dann kommt es erneut zu einem Kurzschluss in einem Transformator. Außerdem stellt sich heraus, dass Vattenfall Auflagen nicht umgesetzt hat. Es werden Risse in Armaturen gefunden, die aufwendig saniert werden müssen. Doch in Erwartung der Laufzeitverlängerung will Vattenfall den Pannenmeiler wieder in Betrieb nehmen. Dabei ist auch Krümmel von zahlreichen Stillständen betroffen und dürfte kaum über eine Verfügbarkeit von ca. zweidrittel der Betreibszeit verfügen.

Bis Oktober 2010 galt der von der rot-grünen Regierung 2002 beschlossene Atomausstieg, nach dem über Restlaufzeiten die schrittweise Abschaltung der AKWs erfolgen sollte. Die 2009 ins Amt gekommene schwarz-gelbe Bundesregierung brauchte fast ein Jahr, bis sie dann neue Laufzeiten durch eine Erhöhung der Reststrommengen im Atomgesetz beschloss. Das währte nur kurze Zeit. Die Katastrophe von Fukushima im März 2011 führte zunächst zu einem von der Bundesregierung verhängten Moratorium.

Theoretisch davon betroffen auch die AKWs Brunsbüttel und Krümmel, die allerdings beide zu dieser Zeit nicht am Netz waren und zu dieser Zeit noch keine Anträge zum Wiederanfahren bei der zuständigen Atomaufsicht in Schleswig-Holstein gestellt hatten.

Wofür also will sich Vattenfall entschädigen lassen? Dafür, dass die Bundesregierung zunächst im Oktober 2010 die Laufzeit für beide Reaktoren um acht bzw. 14 Jahre verlängert hatte und dies per Atomgesetz im August 2011 zurücknahm?

Es geht um die nach dem alten rot-grünen Gesetz noch vorhandenen Reststrommengen der AKWs Brunsbüttel und Krümmel, die im August 2011 per Atomgesetzänderung auf Null gesetzt worden sind. Der rot-grüne Atomausstieg hatte geregelt, dass diese Restrommengen ohne zeitliche Befristungen galten. Im Fall Brunsbüttel und Krümmel bedeutet das: Die jahrelangen Stillstandszeiten aufgrund des katastrophalen Zustands der beiden Schrottreaktoren spielte keine Rolle, die Reststrommengen blieben einfach erhalten. Auf diesen Unsinn der damaligen Regelungen hatte die Anti-Atom-Bewegung seinerzeit immer wieder hingewiesen, weil sie veraltete und marode Anlagen schützte.

Die Betreiber versuchten in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre Reststrommengen von neuen auf alte Atommeiler zu übertragen, scheiterten damit aber – auch im Fall Brunsbüttel – vor Gericht. Siehe Handelsblatt.

Vattenfall argumentiert, dass das Unternehmen auf diese rechtlich zugesicherten Reststrommengen vertraut und daher die Atommeiler mit hohem finanziellen Aufwand saniert habe. Schwerpunktmäßig war das vor allem für Krümmel noch relevant. Brunsbüttel stand damals mit nur noch einer eher geringen Reststrommenge da. Diese Reststrommengen in Verbindung mit den Kosten für Material, Beschäftigte, entgangene Gewinne etc. sind es, die die Schadensersatzsumme von Vattenfall ausmachen. Sicherlich nicht ganz falsch dürfte man liegen, wenn man von den 4,7 Mrd., die Vattenfall verlangt, ein Drittel für Brunsbüttel und zweidrittel für das AKW Krümmel unterstellt.

Da sind nun natürlich viele zentrale Fragen tangiert. Zunächst die zentrale Frage: War es rechtsstaatlich bzw. rechtlich einwandfrei, dass der Bundestag im August 2011 im Angesicht der Atomkatastrophe von Fukushima eine umfassende Neubewertung der Atomenergienutzung in Deutschland vornahm und für einige Atomkraftwerke zu hohe Risiken feststellte und diese sofort abschaltete? Und selbst wenn das so durch das internationale Schiedsgericht in Washington (und den zusätzlich laufenden Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht) bestätigt würde: Hat der Betreiber dennoch Anspruch auf einen Schadensersatz oder ist die Stilllegung der Anlagen als verhältnismäßig und im Sinne der Schutzziele der Verfassung (z.B. Unversehrheit des Lebens) vertretbar? Aber auch viele Fragen im Detail sind von möglicherweise milliardenschwerer Relevanz: Schadensersatz für den Atommeiler Brunsbüttel, der gar nicht mehr ans Netz sollte? Auf die SteuerzahlerInnen abgewälzte Kosten, die der Betreiber Vattenfall durch sein Missmanagement und die zahlreichen Pannen des Atommeilers Krümmel selbst verursacht hat? Da ließen sich eine Menge weitere Dinge auflisten.

Es wird in jedem Fall spannend – und möglicherweise verdammt ärgerlich – was da künftig in Washington und vor dem Bundesverfassungsgericht geregelt wird. Klar dürfte eins sein: Regelungen, wie sie mit dem Investitionsschutz derzeit international verhandelt werden, müssen definitiv vom Tisch. Dazu gehört auch: Die Bundesregierung sollte sich von der Energie-Charta, die jetzt schon für die Stromkonzerne derartige Rechte einräumt, schnellstens verabschieden!

Dirk Seifert

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