Schein Heilig? Kirche – Daseinsvorsorge – Volksentscheid
Der Kirchenkreis Hamburg Ost unterstützt den Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“. Weil es bei der Energieversorgung um einen für alle Menschen wichtigen Grundbereich gehe, mischte sich die Hamburger Ost-Kirche von Anfang an ein. Im Hamburger Abendblatt erläutert Theo Christiansen, der auch Vertrauensperson der Volksentscheids-Initiative ist, die Position und Gründe mit Blick auf die Daseinsvorsorge:
„Sie bezieht sich heutzutage nicht mehr nur auf Essen und Trinken, Gesundheit und Bildung, sondern in Zeiten knapper natürlicher Ressourcen auch auf die Versorgung mit Energie. „In unserer Debatte gibt es einen weit verbreiteten Konsens darüber, dass Bereiche der Daseinsvorsorge nicht kommerziellen Interessen untergeordnet werden dürfen“, sagt er. Und ergänzt: „Wer die Gestaltungshoheit über die Energieversorgung der Zukunft wieder in die öffentliche Hand zurückholen will, muss sie weitest möglich dem Einflussbereich der Energiekonzerne entziehen.“ Deshalb, betont er, unterstützt der Kirchenkreis Hamburg-Ost die Volksinitiative. Ja, auch mit finanziellen Mitteln und Möglichkeiten wie einer Bürgschaft.“
Bereits seit rund drei Jahren, als die Initiative sich gründete, ist die Kirche Hamburg Ost dabei. Bis zum Jahresbeginn hatte das nicht sonderlich für große Aufregung gesorgt. Erst dann, nachdem die SPD Hand in Hand mit der Handelskammer ihre Kampagne gegen den Volksentscheid begann, wurden offenbar auch die VertreterInnen kirchlicher Einrichtungen und Gemeinden angesprochen oder mischten sich ein.
Angeregt wurde das vor allem durch die scheinheilige Initiative des ehemaligen Hamburger SPD-Umweltsenators und RWE-Managers Fritz Vahrenholt. Der jammerte im Frühjahr im Hamburger Abendblatt, dass er eigentlich wieder Kirchenmitglied werden wollte. Als er aber erfuhr, dass die Kirche sogar mit Geld den Volksentscheid unterstütze, könne er diesen Schritt nun nicht mehr machen. Als Pastor Stroemer von der Petri-Gemeinde in der Innenstadt zu einer Diskussionsveranstaltung zu dem Thema mit Fritz Vahrenholt einlud, kniff dieser aber und sagte seine Zusage kurzerhand wieder ab.
und: Kirche diskutiert Volksentscheid Hamburg: Darf Kirche gegen Vattenfall sein?
Seitdem wird in der Kirche über die eigene Rolle debattiert. Reinhard Soltau z.B. ist erzürnt über das kirchliche Engagement. Aber sonderlich überraschend ist das nicht. Soltau ist Mitglied der FDP und jahrelanges Bürgerschaftsmitglied seiner Partei gewesen. Das Abendblatt zitiert auch Pastor Ulrich Rüß, der sich heftig gegen das Engagement äußert. Rüß sagt auch gern mal solche Dinge: „Die größte Gefahr droht der Kirche nicht von außen durch ihre Gegner, sondern von innen durch eine selbst herbeigeführte Verweltlichung.“ (Siehe hier)
Das Abenblatt bringt aber auch folgende Position, die eigentlich zeigt, dass es viele Möglichkeiten der Kirchen-Debatte gegeben hat: „Gabriele Borger vertritt dagegen eine andere Position. Schließlich steht die Theologieprofessorin als Vizepräses an der Spitze jenes Kirchenparlaments, das über die Geschicke des Kirchenkreises Ost mit entscheidet. Über den Rückkauf der Energienetze und das Engagement des Bereichs Diakonie und Bildung sei in der Synode „mehrfach berichtet“ worden, versichert sie. Ob es dazu eine offizielle Entscheidung gab? „Nein“, sagt sie, „eines synodalen Beschlusses bedarf es nicht. Das Engagement des Bereichs Diakonie und Bildung ist dennoch durch Information und Diskussion gut gestützt.““
In der Debatte um die Rolle der Kirche, sollte nicht übersehen werden, dass es eine lange Geschichte in Sachen Daseinsvorsorge und Schöpfungsbewahrung gibt. Nicht zuletzt hat sich die Kirche in Sachen Atomausstieg und Energiewende in den letzen Jahren sehr eindeutig positioniert. Dabei spielt inzwischen auch – vor allem mit Blick auf die Entwicklungsarbeit kirchlicher Einrichtungen im „globalen Süden“ – die Klimakatastrophe eine bedeutsame Rolle. Nicht von ungefähr engagieren sich zahlreiche christliche Einrichtungen auch in der „Klima-Allianz Deutschland“. Dass daran anknüpfend der Bereich der Daseinsvorsorge – um den es in Sachen Volksentscheid Energienetze aus kirchlicher Sicht vor allem geht – konkrete Unterstützung erfährt, ist daher eher folgerichtig.
Wer die Debatte um die Energiepolitik weiter auf eine Debatte von Fachleuten reduzieren will, hat eigentlich nicht verstanden, worum es geht: Die atomaren Risiken ebenso wie die Klimakatastrophe berühren grundsätzlich Fragen der Überlebensfähigkeit auf diesem Planeten. Es geht also in der Tat um die Bewahrung der Schöpfung, für die Kirche sich einzusetzen hat. In zahlreichen Regionen der Welt erfahren kirchliche Hilfsorganisationen sehr konkret, was die in den Industriestaaten erzeugte Klimakatastrophe anrichtet: Ihre Projekte sind oftmals von den Auswirkungen bedroht oder werden zunichte gemacht. Genau aus dieser Erfahrung engagieren sie sich auch in Deutschland selbst gegen immer neue Kohlekraftwerke und setzen sich hier für Klimaschutz ein. Das könnte man auch „ganzheitlich“ nennen.