Volksentscheid Energienetze: SPD-Spitze erklärt Teile der Bürgergesellschaft zu Märchenerzählern
Die Debatte um den Volksentscheid für die vollständige Rekommunalisierung der Hamburger Energienetze, die derzeit noch von Vattenfall und E.on betrieben werden, wird immer schärfer. Immer schärfer und immer mehr unter der Gürtellinie greift vor allem die SPD-Führung das breit aufgestellte Bürgerbündnis „Unser Hamburg – Unser Netz“ an. Und immer mehr stellt sich die Frage: Wie weit will die allein regierende Hamburger SPD noch gehen?
Für Andreas Dressel, SPD-Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft ist der Volksentscheid laut Hamburger Abendblatt nur „ein großes Märchen“. Als wären Daseinsvorsorge, kommunale Unternehmen, Mitbestimmung und Transparenz nicht in Wahlprogrammen der SPD nachzulesen, wird das Volksentscheids-Bündnis in Bausch und Bogen ins Fabelreich verdammt. In vielen anderen Kommunen und Städten sind SPD-Bürgermeister an Rekommunalisierungen beteiligt, in Berlin fordert der Landesvorstand der Berliner SPD, die dortigen Vattenfall-Stromnetze zu 100 Prozent in die öffentliche Hand zu nehmen – in Hamburg gilt das alles nicht.
Man muss sich klar machen, wem Dressel vorhält, Märchenerzähler zu sein: Der Volksentscheid wird getragen von Umweltorganisationen wie dem BUND, dem NABU und ROBIN WOOD, außerdem von kirchlichen Einrichtungen, der Hamburger Verbraucherzentrale, den beiden wichtigsten Mietervereinen, der Ärzteorganisation IPPNW, dem Landesverband Windenergie, Ökostromunternehmen und vielen mehr. Mehr als 45 Organisationen sind inzwischen Mitglied im Bündnis für den Volksentscheid. Siehe: Volksentscheid Energienetze Hamburg: Bürgerbündnis wächst weiter
Was eigentlich sagt die SPD-Spitze damit über ihre eigenen WählerInnen und Mitglieder aus, wenn sie das Anliegen zum „großen Märchen“ erklärt? In einer Abendblatt-Umfrage im Februar hieß es, dass über 70 Prozent der SPD-WählerInnen mit den Zielen des Volksentscheids sympathisieren würden. Alles Menschen mit Realitätsverlust?
Kaum zu fassen, dass es in der SPD keine gewichtige Stimme mehr gibt, die die Parteispitze zur Ordnung ruft. Die SPD-Führung geht mit ihren Angriffen jenseits jeder sachlichen Debatte über die Schmerzgrenze des Erträglichen hinaus. Nicht nur beim Volksentscheid. Auch z.B. die Attacken aus Reihen der SPD gegen den BUND in Sachen Elbvertiefung waren in einer Art, die einen Angst und Bange werden ließen. In Zeiten, in denen über die Krise der parlamentarischen Legitimation, über Politikverdrossenheit, abnehmende Wahlbeteiligung und über mehr Bürgerrechte, Mitbestimmungsmöglichkeiten und Transparenz diskutiert wird, schlägt die SPD-Spitze in einer Schärfe und abschreckender Weise auf relevante Teile der Bürgergesellschaft, die im Grunde auf Abschreckung ausgerichtet ist.
Nicht nur nach außen schlägt die SPD-Spitze um sich. Die wenigen KritikerInnen, die es in der SPD derzeit noch wagen, die Scholz-Linie öffentlich anzuzweifeln, werden intern massiv unter Druck gesetzt und in den Medien zum Abschuss freigegeben. Da dürfen namentlich nicht genannte „führende SPD-Mitglieder“ (Bild-Zeitung) ungeniert über die KritikerInnen herziehen.
Die SPD habe Führung bestellt, die bekommt sie jetzt auch, hat Scholz erklärt, als er zum SPD-Spitzenkandidaten gekürt wurde. Angesichts der immer schärferen Konfrontation, die dieser Senat in der Umwelt- und Energiepolitik betreibt, stellt sich zunehmend die Frage: Führung? Wohin? Und gegen wen?
Klar ist jedenfalls schon eins: Egal wie der Volksentscheid am 22. September ausgeht. Die SPD-Spitze sorgt mit ihren Verunglimpfungen dafür, dass es auf längere Sicht tiefe Risse zwischen der Partei und Teilen der Bürgergesellschaft, vor allem im Umwelt- und Energiebereich geben wird. Und damit schadet die SPD in ganz erheblicher Weise auch der Energiewende!
Siehe auch hier: Nervosität bei den Gegnern der Netzrücknahme steigt – Volksinitiative setzt auf sachliche Debatte