Volksentscheid Energienetze Hamburg – Plant die SPD Boykott der Umsetzung eines erfolgreichen Volksentscheids?

logo_rgb_balkenAm 22. September werden die HamburgerInnen per Volksentscheid darüber abstimmen, ob die für die Energiewende wichtigen Netze für Strom, Gas und Wärme weiter von den Atom- und Kohlekonzernen E.on und Vattenfall betrieben werden oder ob diese Netze wieder vollständig in die öffentliche Hand kommen. Vor allem die SPD-Spitze im Hamburg polemisiert massiv gegen den Volksentscheid, wirft dem breiten Bündnis aus Umwelt- und sozialen Organisationen vor, „ein großes Märchen“ zu erzählen, so der Fraktionsvorsitzende Andreas Dressel gestern in der Bürgerschaft.

Immer mehr entsteht jetzt der Verdacht, dass die Hamburger SPD-Spitze versuchen könnte, einen erfolgreichen Volksentscheid zu hintertreiben – und damit auf dem Verfahrensweg den Willen der Bürger zu hintertreiben. Über die Bürgerschaftsdebatte siehe hier das Abendblatt.

In den nächsten Jahren laufen die bestehenden Konzessionen für den Betrieb der drei Energienetze, die jetzt mehrheitlich von Vattenfall und E.on betrieben werden, aus. Die Konzessionen müssen alle 20 Jahre neu ausgeschrieben werden. Der Volksentscheid will erreichen, dass Hamburg alle erforderlichen und rechtlich zulässigen Schritte unternimmt, damit die Energienetze bei den anstehenden Konzessions-Vergabeverfahren wieder zu 100 Prozent in die öffentliche Hand kommen.

Auf die europaweite Ausschreibung muss sich nach einem erfolgreichen Volksentscheid auch die Stadt Hamburg bewerben. Ebenso werden Vattenfall und E.on sich bewerben; auch eine Bürger-Genossenschaft will sich z.B. beim der Konzession um das Stromnetz bewerben. Die Ausschreibung kann Anforderungen und Bedingungen festlegen, die diskriminierungsfrei und transparent sein müssen und bestimmten Regeln zu entsprechen haben. Darauf müssen sich die Bewerber beziehen. Am Ende steht eine Entscheidung der Stadt Hamburg, wem die Konzession für den Netzbetrieb für die nächsten 20 Jahre übergeben wird.

Nicht erst die Bürgerschaftsdebatte am gestrigen Mittwoch macht aber nun immer deutlicher, dass die SPD-Spitze bzw. der SPD-Senat möglicherweise nach einem erfolgreichen Volksentscheid mit einem lauwarmen und schlecht konzipierten Angebot ins Rennen geht und sich damit auf diesem Weg selbst rauskatapultiert. Auf diese Weise könnte die SPD formal sagen – wir haben ja getan, was Bürgerwille per Volksentscheid war – aber in der Sache eine Boykottstrategie fahren, die dazu führt, dass möglicherweise trotz erfolgreichem Volksentscheid am Ende Vattenfall und E.on erneut den Zuschlag bekommen.

Mit Bezug auf gestrige Äußerungen von Dressel und SPD-Bürgermeister Olaf Scholz haben heute sowohl Jens Kerstan, Fraktionsvorsitzender der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, als auch die Volksentscheids-Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ diesen Verdacht in Pressemitteilungen geäußert. Bereits gestern hatte die Fraktionsvorsitzende der Linken, Dora Hayeen der SPD vorgeworfen, mit „Tricks und Unwahrheiten“ zu arbeiten. Weiter sagte sie: „Herr Scholz, Herr Dressel, meine Damen und Herren von der SPD, hören sie endlich auf mit diesen Tricks. Die Menschen lassen sich nicht verdummen. Und vergessen sie nicht: Nach einem gewonnenen Volksentscheid ist die Bürgerschaft gefragt. Wir müssen den Volksentscheid umsetzen, nicht Olaf Scholz und Vattenfall – seit 2009 sind Volksentscheide verbindlich und aus den Erfahrungen zur Primarschule wissen wir, die Initiative hat dabei ein wichtiges Wort mitzureden.“

Heute setzte Jens Kerstan von der Grünen-Fraktion nach: „Die Gegner der Rekommunalisierung behaupten immer häufiger, dass die Stadt bei der Ausschreibung 2014 die Netze-Konzession nicht erhalten würde. Gestern hat auch der Bürgermeister in seiner Rede vor dem Parlament den Eindruck erweckt, Hamburg könne so eine Ausschreibung kaum gewinnen. Wir haben ernsthaft die Sorge, dass der Bürgermeister mit diesem Argument einen Plan B vorbereitet, um einen erfolgreichen Volksentscheid auszuhebeln. Es wäre ein Skandal, wenn der Senat nur eine halbherzige Bewerbung mit einer kleinen Projektgesellschaft quasi ohne Mitarbeiter betreiben würde, um vorsätzlich die Ausschreibung an Vattenfall zu verlieren.“

Außerdem fragt die Grüne Fraktion: „Bereitet die SPD einen Plan B vor, um das Ergebnis des Volksentscheid auch bei einem Sieg der Befürworter auszuhebeln? Bürgermeister Olaf Scholz hat gestern in der Bürgerschaftsdebatte erneut Zweifel daran geweckt, dass die Stadt eine Ausschreibung um den Netzebetrieb überhaupt ernsthaft vorantreiben würde. Die Grünen warnen ihn und seine Partei vor Planungen, den Willen des Volkes vorsätzlich zu umgehen.“

Etwas nüchterner, aber in der Sache ebenso klar, erklärt Manfred Braasch, Vertrauensperson der Volksentscheids-Initiative: Wir „erwarten vor allem – anders als es der Erste Bürgermeister gestern hat durchklingen lassen – dass ein positiver Volksentscheid mit vollem Engagement vom Senat umgesetzt wird, so wie es Art. 50 der Hamburger Verfassung fordert“.

Die Grünen weisen in ihrer PM auch noch auf die bundesweite Situation in Sachen Rekommunalisierung hin: „In Deutschland gibt es mehrere hundert Stadtwerke. Auch diese müssen sich regelmäßig Ausschreibungen um die Netzekonzessionen stellen. Unserer Kenntnis nach gibt es kein Stadtwerk, das bei einer Ausschreibung gegen einen privaten Wettbewerber verloren hat. Darüber hinaus waren seit 2007 170 Rekommunalisierungen erfolgreich und 70 Stadtwerke wurden neu gegründet.“

Siehe auch:

Dirk Seifert

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