Atommüll-Zwischenlagerung: Sicherheitskonzept CASTOR ist gescheitert

Castorbehälter für hochradioaktiven Atommüll. 80 Stück davon baut die GNS pro Jahr. Foto: GNS
Castorbehälter für hochradioaktiven Atommüll. Das Konzept, dass diese Behälter unter allen Umständen Sicherheit garantieren, ist gescheitert. Foto: GNS

Die Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle muss auf den Prüfstand: „Der Bundesrat hält eine intensive Befassung der Bundesregierung mit der Frage der weiteren Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle einschließlich bestrahlter Brennelemente über bisherige Genehmigungszeiträume hinaus für dringend geboten, da die Suche und Inbetriebnahme eines Endlagers für insbesondere hoch radioaktive Abfälle nach dem Standortauswahlgesetz absehbar noch Jahrzehnte dauern wird. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, die erforderlichen Voraussetzungen für die absehbare Verlängerung der Zwischenlagerung zu erarbeiten und dafür Sorge zu tragen, dass diese verlängerte Zwischenlagerung auf den dafür notwendigen Zeitraum beschränkt bleibt.“ So heißt es im besten Beamtendeutsch in einem Beschluss des Bundesrats vom November 2015 (Drucksache 390/15, PDF). Der eigentliche Kern: Das Konzept der oberirdischen Zwischenlagerung von hochradioaktivem Atommüll in Castor-Behältern ist am Ende.

Die Atommüll-Kommission des Deutschen Bundestags arbeitet fleißig, um nach über 40 Jahren Atomenergienutzung in irgendeiner fernen Zukunft die dauerhafte Lagerung der atomaren Hinterlassenschaften zu regeln. Derweil legte die Bundesregierung per Beschluss im August 2015 das „Nationale Entsorgungsprogramm“ vor. Darin deutet sie selbst an, dass die bisher praktizierte Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle zumindest zeitlich völlig aus dem Ruder laufen werde und deutlich länger dauern dürfte, als bislang behauptet. Für 40 Jahre sind die Castor-Lager an den AKW-Standorten genehmigt. Mitte der 2040 laufen sie allesamt aus und ein „Endlager“ wird bis dahin in keinem Fall zur Verfügung stehen. Das Datum 2051 für die Inbetriebnahme eines solchen Dauerlagers, wie es im Standortauswahlgesetz geschrieben ist, hält kaum ein Experte für realistisch.

Kein Geheimnis – obwohl als Geheimschutzmaßnahmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geplant – ist inzwischen auch: Die Sicherheit der Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle muss dringend verbessert werden. Seit 2011 gehen die bundesdeutschen Behörden von Gefahrenlagen aus, denen die Castor-Lager nicht gewachsen sind. An allen Atommülllagern mit hochradioaktiven Abfällen laufen entsprechende Nachrüstungen oder sind im Genehmigungsverfahren. „Härtungen“ werden vorgenommen, Wände zusätzlich stabilisiert, Mauern vor den Gebäuden zusätzlich errichtet. Nicht überall klappt das: In Lubmin bei den EnergieWerkenNord könnte es nach dem Scheitern eines entsprechenden Nachrüstkonzepts sogar zum vollständigen Neubau einer Castorhalle kommen.

Noch weniger gesichert sind die so genannten zentralen Zwischenlager in Gorleben und Ahaus. Hinzu kommt: Die Genehmigungen für diese Lager laufen bereits Mitte der 30er Jahre aus.

Anlass und Grund für diese Nachrüstungen: Moderne panzerbrechende Waffen, gezielte Flugzeugabstürze mit extrem schweren Maschinen vom Typ A380 und neue Angriffsszenarien terroristischer Kommandos könnten zu katastrophalen Folgen führen, weil die Atommüll-Anlagen dagegen nicht gesichert sind. Das soll nun nachgeholt werden. Aber das macht klar: Das bisherige Sicherheitskonzept ist längst aus den Angeln gehoben. Denn nicht so sehr das Gebäude, sondern vor allem die Castor-Behälter stellten bislang das zentrale Sicherheitsmoment dar. Offiziell sind sie es, deren viele Zig-Zentimeter dicker Stahl und massive doppelte Deckel den „absoluten“ Schutz vor radioaktiver Freisetzung sicherstellen sollten.

Die laufenden Maßnahmen der Behörden zeigen: Das ist Geschichte. Heutige panzerbrechende Waffen sind nicht nur in der Lage, die Mauern einer derzeitigen Castor-Halle zu durchschlagen. Sie würden auch einen dahinter befindlichen Castor zerstören und die gesamte Radioaktivität unmittelbar freisetzen. Und diese Waffen können derart schnell nachgeladen werden, dass ein Terror-Kommando ohne weiteres mehrere Schüsse schnell hintereinander abfeuern könnte.

Weil das so ist, werden in aller Stille und Verschwiegenheit die bestehenden Castor-Lager mit neuen Schutzmauern nachgerüstet. Darüber, dass damit das bisherige Sicherheits-Konzept mit einem als unzerstörbar angesehenen Castor-Behälter klammheimlich aufgeben wird, sprechen die Staatsorgane lieber nicht.

Geheimschutzsache: AKW-Dächer werden gegen Terrorangriffe gesichert

Klar, es ist ein Horror-Szenario, es würde eine heftige öffentliche Debatte auslösen und es würde Milliarden kosten, diese Mängel möglichst zeitnah abzustellen. Und es wäre nicht auf Deutschland begrenzt, sondern auf alle Staaten, die in Folge ihrer Atomprogramme auf hochradioaktiven Atommüllbergen sitzen.

Kein Wunder also, wenn Schleswig-Holsteins Atomminister Robert Habeck zwar warnt, dass die Terror-Gefahren derart drängend sind, dass es unterirdische Lösungen möglichst schnell brauche. Dabei aber elegant verschweigt, dass die Bedrohungs-Szenarien und Sicherheitslücken bei der Zwischenlagerung von Atommüll und auch beim Betrieb der Atommeiler derart groß sind, dass eine Katastrophe derzeit nicht ausgeschlossen werden kann.

Das ganze Dilemma wurde beim Gerichtsverfahren um das Castor-Lager am AKW Brunsbüttel deutlich. Am Ende hob das Oberverwaltungsgericht Schleswig die Betriebsgenehmigung auf. Ein Urteil mit gravierenden Folgen, auch wenn die Behörden das runter zu spielen versuchen: Wie können Genehmigungen für Atommülllager künftig erteilt werden, wenn der Geheimschutz selbst Gerichten Einsicht verweigert und eine Prüfung staatlicher Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr möglich ist? Die Kosten für Nachrüstungen tragen die (privatwirtschaftlichen) Betreiber. Wie viel sind sie bereit zu zahlen?

Die Bundesregierung spricht im „Nationalen Entsorgungsprogramm“ erstmals von einem neuen „Eingangslager“ im Zusammenhang mit dem zu findenden „Endlager“. Die Rede ist von 500 Castoren, die da rein sollen und die für Jahrzehnte dort oberirdisch verbleiben, bis sie irgendwann untertage gebracht werden könnten. Doch insgesamt wird es 1.900 Castor-Behälter geben, wenn das letzte AKW abgeschaltet wird. Die Bürgermeister aller Atommüll-Standorte wissen das und fordern ein betriebsbereites neues Zwischenlager spätestens dann, wenn die Genehmigungen der heutigen Lager auslaufen. Das haben sie auf ihrer Sitzung im Januar 2016 in Kassel jüngst bekräftigt. Und auch der Bundesrat weiß angesichts des Beschlusses vom November 2015, dass  die Tage der heutigen Zwischenlager gezählt sind.

Die laufenden Nachrüstungen an den bestehenden Castor-Lagern an den AKW-Standorten können die Risiken vielleicht abmildern. Katastrophen verhindern können sie vermutlich nicht. Gegen gezielte Flugzeugabstürze wäre eine vollständige Verbunkerung der Dächer erforderlich. Die lässt sich nicht einfach nachträglich nachrüsten und das wird auch offenbar gar nicht erst versucht. Schutzmauern können helfen, aber ein (mehrfacher) Beschuss bleibt grundsätzlich möglich, weil die Gebäude oberirdisch Angriffsfläche bieten.

Damit nicht genug: Wie eigentlich geht „Sicherheit“, wenn ein Castor auf „normalem“ Weg undicht wird? Wenn die bisherigen Reparaturmöglichkeiten – die benachbarten Reaktoren – nicht mehr zur Verfügung stehen? Was passiert mit den verglasten Abfällen aus der Wiederaufarbeitung an den Standort-Lagern, für die schon jetzt eine Reparatur in den Reaktoren gar nicht möglich wäre? Und was passiert mit den hochradioaktiven Brennelementen, wenn die Zwischenlagerung in den Castoren weit über das derzeit untersuchte Haltbarkeitsdatum hinaus geht? Und so weiter…

Dirk Seifert

2 Gedanken zu “Atommüll-Zwischenlagerung: Sicherheitskonzept CASTOR ist gescheitert

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